Längere Arbeitszeiten helfen nicht gegen Fachkräftemangel

31.08.2022

31.08.2022 – In der Pflege, in der Sozialarbeit, in Verwaltungen, im IT-Bereich, an Flughäfen, im Nahverkehr, in der Logistik, überall fehlen Fachkräfte. Beschäftigte, die den Druck aufgrund von Personalknappheit nicht mehr aushalten, flüchten immer öfter aus belastenden Arbeitsbedingungen in Teilzeit. Für das verbleibende Personal erhöht sich der Druck. Doch pauschale Verlängerungen von wöchentlichen oder von Lebensarbeitszeiten sind keine Lösung gegen den Fachkräftemangel. Sie können die Engpässe bei Fachkräften noch verschärfen, so die Erkenntnisse einer Forschungsarbeit des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Angesichts stark verdichteter Arbeitsabläufe und erheblicher psychischer und/oder körperlicher Belastungen an sehr vielen Arbeitsplätzen drohen bei weiter verlängerten Arbeitszeiten geringere Produktivität, vermehrte Leistungsreduzierung oder gar Arbeitsausfall beispielsweise durch vermehrte Unfälle und stressbedingte Erkrankungen. Die Folge könnte sein, dass noch mehr Beschäftigte in Teilzeit wechseln, wie es schon seit längerem in der Pflege zu beobachten ist.

 
Krankenhaus in Not


Vier Strategien gegen den Fachkräftemangel

Die vermeintlich simple Gleichung, dass längere Arbeitszeiten für eine höhere wirtschaftliche Leistung und mehr Geld in den Sozialkassen sorgen, funktioniert nicht. Als Strategie gegen Personalengpässe schlagen die Forschenden vier wesentliche Ansätze vor:

1. Die Aktivierung von Fachkräftepotenzialen. Dafür sind beispielsweise in sozialen Berufen mit großem Personalmangel substanzielle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen nötig. In den Bereichen Alten- und Krankenpflege können sich immerhin mindestens 300.000 Fachkräfte, die ihre Arbeitszeit reduziert haben oder ganz aus dem Beruf ausgestiegen sind, eine Rückkehr vorstellen. Nötig wären dazu unter anderem deutlich verbesserte, verbindliche Personalschlüssel oder ein verbesserter Arbeits- und Gesundheitsschutz. Zudem könnten Teilzeitbeschäftigte, vor allem viele Frauen aus Minijobs, ihre Stunden aufstocken, wenn die Bedingungen für sie stimmen. Viele würden das gerne tun. Weitere Fachkräfte könnten durch Qualifizierung und Weiterbildungsangebote aktiviert werden.

2. Die Arbeitszeiten müssten so gestaltet sein, dass Beruf und Familie besser vereinbart werden können und Arbeit altersgerecht gestaltet ist.

3. Gegen Personalengpässe hilft es auch, die Gesunderhaltung der Beschäftigten zu fördern. Die gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen müssten überall durchgeführt werden, um arbeitsbezogene Belastungen aufzuspüren und zu minimieren. Auch ist es wichtig, Arbeitsplätze alternsgerecht zu gestalten, um die Leistung erfahrener Beschäftigter zu erhalten.

4. Stabilisierung von Sozialkassen: Die Forschenden schlagen eine Versicherung vor (wie es sie beispielsweise in Österreich gibt), in die alle Erwerbstätigen einzahlen – sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Beamtinnen und Beamte und Selbstständige. Dies führe nicht nur zu einer besseren Finanzierung der Kassen und einer Entschärfung von sozialen Ungleichheiten, sondern auch zu insgesamt höheren Rentenzahlungen. Ein weiterer wichtiger Baustein sei die Erhöhung der Erwerbsquote, z. B. bei Müttern. Würde die Erwerbstätigkeit von Frauen erhöht und Unterbeschäftigung verhindert, könnten viele Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung gelöst werden, schreiben die Arbeitszeitforscherin Dr. Yvonne Lott und Arbeitszeitsoziologe Dr. Eike Windscheid in ihrer Analyse.

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