Seit dem 1. Oktober 2022 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 12 Euro die Stunde, zum 1. Januar 2024 soll er nur um 41 Cent steigen. Millionen Beschäftigte, mehrheitlich Frauen, leben vom Mindestlohn. Warum es einen gesetzlichen Mindestlohn braucht, warum er steigen muss, und was Beschäftigte noch wissen müssen
Durch die Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde im Oktober 2022 wurde der gesetzliche Mindestlohn innerhalb nur eines Jahres um mehr als 22 Prozent angehoben. Diese Erhöhung kam zur rechten Zeit: Beschäftigte mit niedrigen Einkommen leiden in besonderen Maßen unter den anhaltenden Preissteigerungen. Sie müssen einen vergleichsweisen hohen Anteil ihres Einkommens für Grundlegendes wie Energie und Lebensmittel ausgeben. Die Mindestlohnerhöhung hat da erst einmal Entlastung geschaffen. Aber die hohen Inflationsraten haben gleichzeitig die beabsichtigte Anhebung des Mindestlohns auf ein einigermaßen existenzsicherndes Niveau zu einem guten Stück wieder zunichte gemacht.
Am 26. Juni 2023 hat die Mindestlohnkommission, die sich aus Vertreter*innen der Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammensetzt, ihren Vorschlag für die nächsten Erhöhungen vorgelegt. Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll demnach Anfang 2024 um 41 Cent auf 12,41 Euro pro Stunde steigen, in einem weiteren Schritt Anfang 2025 dann auf 12,82 Euro. Die Empfehlung muss noch per Verordnung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) umgesetzt werden, womit im Herbst gerechnet werden kann. Allerdings: Sie wurde gegen die Stimmen der beteiligten Gewerkschaften ausgesprochen. Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist der Beschluss der Kommission absolut nicht zufriedenstellend.
ver.di fordert die Bundesregierung daher auf, die EU-Mindestlohnrichtlinie – die eine Anhebung auf 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens fordert – in nationales Recht umzusetzen und den gesetzlichen Mindestlohn auf 14 Euro zu erhöhen. Scharf kritisiert der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke die Empfehlung der Mindestlohnkommission: „Eine derart geringe Erhöhung verschärft die Probleme der Menschen, die mit ihrer Arbeit ein auskömmliches Leben finanzieren müssen und geht an der Realität der hohen Preise für Lebensmittel und Energie vorbei.“
„Eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 14 Euro durch die Bundesregierung erfüllt die Mindestvorgaben der EU und ist für die Menschen, die nur nach dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden, bitter notwendig.“
Bei der Schaffung des gesetzlichen Mindestlohns sei der Gedanke nachvollziehbar gewesen, die nachfolgenden Erhöhungsschritte auf Grundlage von Empfehlungen einer durch Vertreterinnen und Vertreter der Tarifpartner zusammengesetzten Kommission vorzunehmen. „Dieses Prinzip funktioniert jedoch nur so lange, wie das Wirken aller Mitglieder der Mindestlohnkommission durch Verantwortungsbewusstsein und Empathie gekennzeichnet ist. Die jetzige Entscheidung der Kommission führt jedoch zu massiven Reallohnverlusten und stürzt unzählige Menschen in eine Krise. Wenn die Mindestlohnkommission so versagt, ist der Gesetzgeber gefordert”, so Werneke.
Die Bundesregierung steht ohnehin vor der Aufgabe, die entsprechenden EU-Vorgaben umzusetzen. „Eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 14 Euro durch die Bundesregierung erfüllt die Mindestvorgaben der EU und ist für die Menschen, die nur nach dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden, bitter notwendig“, betont Werneke.
„Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen. Mit diesem Beschluss erleiden die fast sechs Millionen Mindestlohn-Beschäftigten einen enormen Reallohnverlust. Die Mindestlohnkommission wird damit nicht ihrer Aufgabe gerecht, den gesetzlich geforderten Mindestschutz für Arbeitnehmer*innen zu gewährleisten“, sagt Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied und Mitglied der Mindestlohnkommission. Die stellvertetende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis, ebenfalls Mitglied der Mindestlohnkomission, sagt: „Der Mehrheitsbeschluss der Mindestlohnkommission ist eine herbe Enttäuschung für alle, die auf den Mindestlohn angewiesen sind – das sind 5,9 Millionen Menschen: Die Inflation wird ignoriert, Reallohnverluste sind programmiert.
Die Arbeitgeberseite habe "die ganze Zeit so getan, als würde es die hohe Inflation nicht geben und stur nur an der Tarifentwicklung der Vergangenheit festgehalten. Damit haben sie gleichzeitig nicht anerkannt, was wissenschaftlich belegt ist, nämlich die noch stärkere Betroffenheit durch die Inflation bei niedrigen Einkommen", erklärt Kocsis im Rahmen eines Interviews für die aktuelle Ausgabe tarif.impulse.
Ganz offensichtlich versuchen die Arbeitgeber mit diesem Beschluss, die gesetzlich verfügte Anhebung auf 12 Euro im vergangenen Oktober praktisch zu neutralisieren. Das ist ein übles Spiel auf dem Rücken derjenigen, die wegen niedriger Einkommen von der Inflation besonders betroffen sind und unterläuft zudem den vom Gesetz geforderten Mindestschutz. Dazu wären mindestens 13,50 Euro pro Stunde nötig gewesen.“
„Das ist ein übles Spiel auf dem Rücken derjenigen, die wegen niedriger Einkommen von der Inflation besonders betroffen sind und unterläuft zudem den vom Gesetz geforderten Mindestschutz. Dazu wären mindestens 13,50 Euro pro Stunde nötig gewesen.“
Mit der im Oktober 2022 verabschiedeten Europäischen Mindestlohnrichtlinie muss die Mindestlohnkommission zudem eine Reihe von neuen Kriterien berücksichtigen. Hierzu zählen unter anderem die allgemeine Lohnentwicklung, die Kaufkraft des Mindestlohns und die Entwicklung der Produktivität. Als wichtigste Orientierungsgröße für ein angemessenes Mindestlohniveau empfiehlt die Europäische Mindestlohnkommission, dass der Mindestlohn nicht weniger als 60 Prozent des sogenannten Medianlohns betragen soll. Nach jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes liegt der aktuelle Mindestlohn in Deutschland mit 12 Euro bei etwa 53 Prozent des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, hatte für 2024 eine deutliche Mindestlohnerhöhung angekündigt. „Arbeit muss sich lohnen“, sagte Heil Mitte April. Er begründete eine spürbare Erhöhung mit der hohen Inflation und ordentlichen Tariferhöhungen, die sich bei der Festlegung des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission niederschlagen würden. Das ist nun nicht geschehen. Andrea Kocsis sagt nach der jetzigen Empfehlung der Mindestlohnkommission: „Nach den aktuellen Erfahrungen mit den Arbeitgebern ist nicht davon auszugehen, dass die Mindestlohnkommission die EU-Mindestlohnrichtlinie ohne weitere Konkretisierung durch den Gesetzgeber umsetzen wird.“
In lediglich etwa der Hälfte der 22 EU-Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen war 2022 die Anhebung der Lohnuntergrenze stark genug, um die hohe Inflation mindestens auszugleichen. In zehn Ländern erlitten zum Mindestlohn Beschäftigte hingegen zum Teil deutliche reale Kaufkraftverluste. Vergleichsweise gut fiel die Entwicklung in Deutschland durch die Mindestlohnanhebung auf 12 Euro aus: Zwischen Anfang 2022 und Anfang 2023 stiegen dadurch die Stundenlöhne von Mindestlohnbezieher*innen inflationsbereinigt um 12,4 Prozent – ein spürbarer Beitrag, um in der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Krise Nachfrage und Wirtschaftsentwicklung zu stützen. Das zeigt der internationale Mindestlohnbericht des WSI vom März 2023.
Rund 6,64 Millionen Beschäftigte in Deutschland profitieren seit dem 1. Oktober 2022 von der Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro brutto pro Stunde. Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat sich die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns direkt auf diese Millionen Beschäftigte ausgewirkt. Ihnen hat der höhere Mindestlohn ein Plus von durchschnittlich über 100 Euro pro Monat beschert. Im Detail kam Folgendes heraus: Bei 19 Prozent der für die Studie Befragten waren es mehr als 200 Euro, bei 21 Prozent zwischen 100 und 200 Euro, bei 38 Prozent zwischen 50 und 100 Euro und bei 22 Prozent weniger als 50 Euro. Nach Beschäftigungsstatus verdienten Vollzeitbeschäftigte im Schnitt monatlich 155 Euro mehr, Teilzeitbeschäftigte 104 Euro und geringfügig Beschäftigte immerhin noch 59 Euro mehr.
„Wir haben lange um eine Anhebung des Mindestlohns gekämpft. Die Anhebung des Mindestlohns ist nicht nur ein Schritt gegen Altersarmut, sondern angesichts der aktuellen Preisentwicklung für viele Menschen überlebenswichtig“, sagt Frank Werneke, der ver.di-Vorsitzende.
Die Schwarzmalerei der Wirtschaft, die vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland das Aus für etliche Unternehmen und den massiven Verlust von Arbeitsplätzen verkündete und mit jeder Erhöhung des Mindestlohns ins gleiche Horn bläst, hat sich als Trugbild erwiesen. Denn nichts davon ist eingetreten. Das zeigt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Mindestlohnkommission von Anfang August 2022. Ganz im Gegenteil geht aus der Untersuchung hervor, dass manche Branchen sogar produktiver geworden sind.
Tatsächlich haben die Einführung des Mindestlohns Anfang 2015 und seine erste Erhöhung 2017 kaum zu Marktaustritten von Unternehmen geführt, auch zu diesem Ergebnis kommt die Studie des ZEW. Demnach gaben zwar Kleinstunternehmen mit bis zu vier Beschäftigten in den Arbeitsmarktregionen auf, wo viele Mitarbeiter zuvor weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten, also den Stundenlohn, mit dem der Mindestlohn 2015 eingeführt wurde. Gezeigt habe sich das laut Studie vor allem in Ostdeutschland, wo der Bruttodurchschnittslohn 2015 wesentlich niedriger gewesen sei als im Westen. Auf die Zahl der Arbeitslosen hat das dennoch keine Auswirkungen gehabt. Auch hier ist eine gegenteilige Entwicklung zu verzeichnen: Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist gestiegen.
Der Mindestlohn ist 2022 auf 12 Euro gestiegen. Das ist ein weiteres Kapitel in der Erfolgsgeschichte des gesetzlichen Mindestlohns.
In unserem ver.di-Podcast „Auf Arbeit“ hat sich deshalb unsere Moderatorin Jenny Mansch einen spannenden Gast zum Thema ins Studio geholt: Andrea Kocsis. Sie ist stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Mitglied in der Mindestlohn-Kommission, dem Gremium aus Arbeitgeber*innen, Wissenschaftler*innen und Gewerkschafter*innen, das über den Mindestlohn entscheidet. Andrea gibt einen spannenden und hörenswerten Einblick in die Geschichte des Mindestlohns, welche Rolle ver.di dabei spielte und räumt dabei auch gleich mit ein paar Mythen und Behauptungen rund um den Mindestlohn auf.
Viel Spaß beim Anhören!
8,6 Millionen Beschäftigte haben vor der Erhöhung des Mindestlohns im Oktober 2022 weniger als 12 Euro brutto pro Stunde verdient. Rund zwei Drittel dieser 8,6 Millionen Menschen sind Frauen. Sie haben unmittelbar von dem höheren Mindestlohn profitiert; ver.di hatte seit langem die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro gefördert. Ein höheres Einkommen würden in der Mehrheit zudem Beschäftigte mit Berufen erzielen, die eine abgeschlossene Ausbildung erfordern.
Nach der Erhöhung auf 12 Euro wird es nicht – wie bisher geplant – 2023 die nächste Erhöhung des Mindestlohns geben. Die soll es laut des vorliegenden Gesetzesentwurfes frühestens zum 1.1.2024 geben. Über dessen Höhe wird dann wieder die Mindestlohnkommission entscheiden. Auf mindestens 12 Euro pro Stunde hatte sich der ver.di-Bundeskongress im September 2019 festgelegt. Inzwischen fordert ver.di bereits für 2023 eine weitere Erhöhung, die deutlich über die 12 Euro hinausgeht.
Seit 1. Oktober 2022: 12 Euro
Bei seiner Einführung zum 1. Januar 2015 lag die Höhe bei 8,50 Euro pro Stunde.
Besser bezahlt werden würden auch Beschäftigte ohne Tarifvertrag. Diese sind derzeit nämlich rund dreimal so häufig von Löhnen unter 12 Euro betroffen wie Beschäftigte, die nach Tarif bezahlt werden. Rund 30 Prozent der Beschäftigten, die in ihrem Hauptjob nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden, arbeiten momentan noch für weniger als 12 Euro pro Stunde. Mit Tarifvertrag sind es lediglich 9,5 Prozent. Zu diesen Ergebnissen ist eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung gekommen.
Die Studie zeigt auch, dass die große Mehrzahl der Beschäftigten ihr Haupteinkommen aus ihrem Lohn erzielen, der derzeit noch bei unter 12 Euro in der Stunde liegt. Das betrifft insgesamt 7,3 Millionen von ihnen, etwa 1,3 Millionen gehen einer Nebentätigkeit nach. Bereits vor zwei Jahren kamen Löhne unter 12 Euro am häufigsten im Einzelhandel, dem Gesundheitswesen, der Gebäudebetreuung, der Gastronomie und dem Sozialwesen vor. Unter den Berufen waren unter anderem Fachkräfte in Gastronomie und Hauswirtschaft, Verkäuferinnen und Verkäufer, medizinische Fachangestellte, Köche oder Berufskraftfahrende stark betroffen. Zudem Hilfskräfte in Reinigung, Hauswirtschaft, Küchen und Logistik.
Auch auf europäischer Ebene wird die Tarifbindung zukünftig eine wichtigere Rolle spielen, um Löhne und Gehälter armutsfest zu machen. Das EU-Parlament hat sich am 7. Juni, der EU-Ministerrat schließlich am 15. Juni auf Standards zur Mindestlohn-Festlegung geeinigt, die Mindestlohnhöhe legen die jeweiligen Staaten dabei weiterhin selbst fest. Gesetzliche Mindestlöhne, heißt es in der Einigung weiter, müssen alle zwei Jahre durch die EU-Länder aktualisiert werden. Ausgenommen davon sind Länder, die einen automatischen Indexierungsmechanismus anwenden. Für sie soll eine Frist von vier Jahren gelten. Zudem hat das europäische Parlament sich darauf verständigt, die Tarifbindung in der Europäischen Union zu stärken. Länder, in denen die Quote der Tarifbindung unter 80 Prozent liegt – und hierzu zählt auch Deutschland –, sollen demnach Aktionspläne festlegen, um diese zu steigern. Aus ver.di-Sicht ist damit ein wichtiger Schritt zur Stärkung von Mindestlöhnen und Tarifvertragssystemen gemacht. „Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. Sie muss einen Aktionsplan zu einer Verbesserung der Tarifbindung vorlegen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür auf den Weg bringen“, so der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Dazu gehörten vor allem die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die Umsetzung eines Bundestariftreuegesetzes mit eindeutigen Regeln, wonach öffentliche Aufträge und Fördergelder nur noch die Unternehmen erhalten sollten, die auch nach Tarif bezahlen. Zudem müssten auch die Nachwirkung von Tarifverträgen bei Betriebsübergängen verbessert und OT-Mitgliedschaften („ohne Tarif“) in Arbeitgeberverbänden unterbunden werden.
Mit den neuen Standards zu Lohnuntergrenzen in allen EU-Staaten soll Europa noch ein Stück sozialer werden. Die jetzt geplante untere Haltelinie, vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) auch Anstandsgrenze genannt, wird in jedem EU-Land unterschiedlich hoch sein. Mehr erfahren
Die Einführung und Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohns haben seit 2015 die Einkommenssituation von Millionen Menschen in Deutschland verbessert, von denen nicht wenige in „systemrelevanten“, aber niedrig bezahlten Berufen arbeiten. Der Mindestlohn hat dadurch die private Konsumnachfrage spürbar unterstützt, die in den vergangenen Jahren wesentlich zum Wirtschaftswachstum in Deutschland beigetragen hat. Ohne ver.di und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gäbe es den gesetzlichen Mindestlohn womöglich bis heute nicht in Deutschland. Zehn Jahre lang haben sich vor allem ver.di und die NGG für ihn stark gemacht. Und seit seiner Einführung setzen sie sich für seine ständige Erhöhung ein. Ist der gesetzliche Mindestlohn zu niedrig, würde er schon bald seine positive Wirkungen verlieren.
Der Mindestlohn steigt weiter – und wie schon oben erwähnt – bereits zum Oktober 2022 mit einem großen Schritt auf 12 Euro. Vorerst ist die Erhöhung auf 10,45 Euro pro Stunde ab Mitte des Jahres 2022 vorgesehen. Darauf hatte sich die Mindestlohnkommission Ende Juni 2020 verständigt. Seinerzeit wurde nach zähem Ringen in dem Gremium ein Kompromiss erreicht, eine Anhebung in insgesamt vier Schritten. Innnerhalb von zwei Jahren muss sich die Mindestlohnkommission dann normalerweise auf eine neue Empfehlung verständigt haben, wie es mit der Entwicklung der Lohnuntergrenze weitergehen soll. Als Orientierung gelten dabei die jeweiligen Lohnentwicklungen und Tarifabschlüsse in Deutschland. Angelehnt an die Lohnsteigerungen im Land steigt dann entsprechend auch der Mindestlohn.
Die Mindestlohnkommission der Bundesregierung hat neun Mitglieder, neben dem Vorsitzenden und zwei Wissenschaftler*innen gehören ihr je drei Vertreter*innen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite an. Zu letzteren zählt derzeit die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis. Alle zwei Jahre legt die Kommission bis spätestens zum 30. Juni einen Bericht vor und gibt eine Empfehlung für die Lohnuntergrenze in den folgenden beiden Jahren ab.
„Allen Beteiligten ist klar, dass es sich dabei um einen Kompromiss handelt, an dessen Ende aber immerhin eine deutliche Erhöhung steht, die den betroffenen Beschäftigten Verlässlichkeit gibt“, kommentierte Kocsis die Ende Juni 2020 erreichte Einigung.
Eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hat darüber hinaus ergeben, dass sich eine solche Anhebung positiv auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auswirken würde. Zugleich wird auf Studien aus den USA verwiesen, die gezeigt hätten, „dass eine Erhöhung des Mindestlohns auf 60 bis 66 Prozent des Medianlohns ohne negative Auswirkungen auf die Beschäftigung möglich ist“, so die Wissenschaftler*innen des IMK in einer Pressemitteilung.
In der EU gibt es Bestrebungen, in den Mitgliedsländern Mindestlöhne einzuführen, die bei 60 Prozent des jeweiligen Medianlohns liegen sollen. Deutschland kommt dabei derzeit nur auf 45,6 Prozent – und liegt im EU-Vergleich so betrachtet am unteren Ende des Rankings.
Beim Start der „Initiative Mindestlohn“ von ver.di und NGG im März 2006 lautete die zentrale Forderung noch „Kein Lohn unter 7,50 Euro pro Stunde“.Sie wurde auf 4.000 Großflächenplakaten in ganz Deutschland beworben und über einen Blog kommuniziert. Bei seiner endgültigen Einführung 2015 lag er schließlich bei 8,50 Euro, ab dem 1. Juli 2021 werden es 9,60 Euro sein. In der Europäischen Union bewegt sich Deutschland damit im oberen Drittel. Nur in Luxemburg liegt der gesetzliche Mindestlohn bereits bei über 12 Euro, eine Höhe, die ver.di möglichst schnell auch hierzulande erreichen möchte.
Zudem: Die Bundesregierung war vor der Verabschiedung des Gesetzes dem Druck aus der Wirtschaft erlegen und hat Ausnahmen für Langzeitarbeitslose, Unter-18-Jährige und Beschäftigte bestimmter Branchen wie der Zeitungszustellung ins Gesetz geschrieben. Aktuell sind Pflichtpraktikanten, Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung, Auszubildende, ehrenamtlich tätige Mitarbeiter*innen, Langzeitarbeitslose, Freiberufler*innen und Selbstständige vom Mindestlohn ausgeschlossen.
Als Mitglied genießen Sie alle Vorteile unserer großen Organisation und die Solidarität von mehr als zwei Millionen Kolleginnen und Kollegen.
ver.di ist eine starke Organisation aus knapp 2 Mio. Menschen, die sich zusammengefunden haben, um ihre Interessen durchzusetzen. ver.di finden Sie vor Ort und in Betrieben. Wir machen uns stark für Arbeitnehmerrechte, verhandeln Tarifverträge und setzen die Interessen unserer Mitglieder politisch durch.
ver.di sein heißt, sich gegenseitig helfen und unterstützen. Aus diesem Engagement der einzelnen Mitglieder zieht ver.di seine Stärke. Und dieses Netzwerk der Vielen bietet für jeden Einzelnen ganz praktische große und kleine Vorteile: im Job und darüber hinaus.
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Unter einem Mindestlohn versteht man einen Lohn, der durch ein Gesetz oder einen von Gewerkschaften ausgehandelten Tarifvertrag festgelegt wird. Dieser Mindestlohn darf dann nicht mehr unterschritten werden. Dabei kann sich die Regelung über einen Mindestlohn entweder auf den Stundenlohn oder den Monatslohn beziehen. Bevor zum 1.1.2015 in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wurde, gab es bereits für einige Branchen einen sogenannten Branchenmindestlohn. So zum Beispiel in folgenden Branchen: Abfallwirtschaft, Pflege, Bauhauptgewerbe, Bergbauspezialarbeiten, Wäschereidienstleistungen, Objektkundengeschäft, Dachdecker-, Elektro-, Gebäudereiniger- sowie Maler- und Lackiererhandwerk. Bereits 1970 hatte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) eine Absichtserklärung zur Einführung von Verfahren zur vertraglichen Festlegung von Mindestlöhnen beschlossen. Im Jahr 2000 hatten erst 51 der 181 ILO-Mitgliedsstaaten eine solche Absichtserklärung zur Einführung von Mindestlöhnen in Kraft gesetzt. Inzwischen gibt es laut der ILO in über 90 Prozent ihrer Mitgliedsstaaten Mindestlöhne.
Die verstehen das nämlich genauso wenig wie Menschen, die mit Gewerkschaften bisher noch nichts zu tun hatten. Unsere Kinderreporter wollten diesmal wissen, was denn genau der Mindestlohn ist. Gewerkschaft für Anfänger.
Anders als bei unseren europäischen Nachbarn, die prozentuale Abstufungen für einen Jugendmindestlohn geltend machen, sind Minderjährige in Deutschland komplett vom Mindestlohn ausgenommen. Auch für Auszubildende und junge Leute in Einstiegsqualifizierungen (egal, ob öffentlich gefördert oder tariflich vereinbart) oder Pflichtpraktika im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums gilt der Mindestlohn nicht, da es sich hierbei um ein Lernverhältnis handelt. Azubis erhalten tariflich ausgehandelte Auszubildendenvergütungen. Auch wenn ein Auszubildender über 18 Jahre alt sein sollte, besteht im Ausbildungsverhältnis kein Anspruch auf Mindestlohn, wohl aber für einen Nebenjob. Menschen, die ein freiwilliges Orientierungs-Praktikum (vor Ausbildung oder Studium) machen, haben erst nach einer Dauer von drei Monaten Anspruch auf den Mindestlohn. Für alle Praktika gilt aber, dass die Vertragsinhalte vom Arbeitgeber schriftlich mitgeteilt werden müssen, insbesondere die Lern- und Ausbildungsziele. Langzeitarbeitslose, die seit über einem Jahr bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind, haben erst sechs Monate nach Wiederaufnahme einer Tätigkeit das Recht auf einen Mindestlohn. Auch diese Regelung haben die Gewerkschaften von Anfang an kritisiert, weil Drehtüreffekte zu befürchten sind: Nach dem Motto „Heuern und Feuern“ könnten Arbeitgeber alle sechs Monate einen neuen Langzeitarbeitslosen einstellen, um so die Zahlung des Mindestlohns zu vermeiden.
Nein. Ein Ehrenamt ist in der Regel als freiwilliges öffentliches Amt zu verstehen, das nicht auf Entgelt ausgerichtet ist. Insofern erhalten Personen, die ein Ehrenamt ausüben, auch keinen Lohn, sondern allenfalls eine Entschädigung für den entstandenen Aufwand. Nach § 22 Abs. 3 des Mindestlohngesetzes ist ehrenamtliche Tätigkeit somit vom Mindestlohn ausgenommen. Der Gesetzgeber hat aber klargestellt, dass nur ehrenamtliche Tätigkeit im engeren Sinn darunter fällt. Es darf nicht die Erwartung der finanziellen Gegenleistung im Vordergrund stehen und die Tätigkeit muss auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sein. Wenn dies gegeben ist, können auch mehrere Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt werden. Der Gesetzgeber will damit vor allem die Arbeit von Vereinen, im Sportbereich, Musikgruppen usw. nicht beinträchtigen. Die Vergütung dieser Tätigkeiten erfolgt häufig über die sogenannte Übungsleiterpauschale bzw. den Ehrenamtsfreibetrag. So müssen sogenannte „ehrenamtliche“ Tätigkeiten etwa in der Altenpflege, im Gesundheitswesen oder in der Erziehung, die im Rahmen eines Minijobs verrichtet werden, mindestens mit 8,50 Euro pro Stunde vergütet werden, weil es sich eben nicht um ein Ehrenamt handelt. Wer Übungsleiterpauschalen bekommt, wird steuerlich begünstigt. Ob auch Anspruch auf Mindestlohn besteht, kommt auf den Einzelfall an. Auch wenn diese Tätigkeit aus steuerlichen Gründen als ehrenamtlich bezeichnet wird, kann sie eine Arbeitstätigkeit sein.
In einigen Branchen ist es den Gewerkschaften gelungen, tarifliche Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz durchzusetzen. Diese Löhne wurden von der Bundesregierung per Rechtsverordnung für die Beschäftigten einer Branche allgemein verbindlich erklärt. Arbeitnehmer*innen in diesen Branchen, die persönlich unter den Geltungsbereich des Mindestlohn-Tarifvertrags fallen, dürfen zwingend keinen geringeren Stundenlohn erhalten – unabhängig davon, ob sie von inländischen Arbeitgebern beschäftigt werden oder von Arbeitgebern aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland entsandt worden sind.
Ja, auch Volljährige mit geringfügiger Beschäftigung (bis zu 450 Euro im Monat) haben Anspruch auf den gesetzlich gültigen Mindestlohn, unabhängig davon, wie viele Stunden pro Woche sie arbeiten. Auch sogenannte Kleinunternehmer (die im Rahmen der Steuergesetze von der Zahlung der Umsatzsteuer befreit sind) müssen ihren Beschäftigten den geltenden Mindestlohn zahlen.
Zuständig für die Einhaltung des Gesetzes ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), die beim Zoll angesiedelt ist. Sie hat auch bisher schon die Branchenmindestlöhne auf Einhaltung kontrolliert. Um die neuen Aufgaben bewältigen zu können, hat die Regierung bei Einführung des gesetzlichen Mindestlohns angekündigt, dass das Personal bei der FKS um 1.600 Stellen aufgestockt werden soll. Allerdings waren bereits in der Vergangenheit rund 500 Stellen nicht besetzt, zudem müssen Beschäftigte mit dieser spezifischen Aufgabe immer auch ausgebildet werden. Die nötigen Kontrollen waren daher mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2015 noch nicht gewährleistet. Inzwischen wurden aber wiederholt Verstöße gegen das Gesetz festgestellt. In Betrieben mit Betriebsräten achten diese nach Kräften auf die Einhaltung des Mindestlohns.
Die Mindestlohnkommission berät nachlaufend zu den Tarifverhandlungen alle zwei Jahre über eine Anpassung des Mindestlohns. Die Kommission besteht aus Vertreter*innen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Sachverständigen aus der Wissenschaft. Am Ende befindet die Bundesregierung darüber, ob sie den gefundenen Kompromiss per Rechtsverordnung in Kraft setzt. Erstmals hat die Kommission im Jahr 2016 getagt und über die Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar 2017 beraten. Für die Zeitungszusteller wurde seinerzeit eine Erhöhung der 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde allerdings erst nach einer Übergangsfrist ab 2018 in Aussicht gestellt. Und auch für Branchen mit einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag konnte der Mindestlohn von 8,50 Euro erst ab dem Jahr 2018 erhöht werden.
Nein. Auch Rentnerinnen und Rentner haben Anspruch auf den geltenden Mindestlohn, wenn sie sich zu ihrer Rente etwas dazuverdienen.
Ja. Der gesetzliche Mindestlohn wird nicht nach Regionen differenziert. Insgesamt haben 17,8 Prozent, also fast ein Fünftel aller Beschäftigten, Stand Oktober 2022 einen gesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn. Ausgenommen sind Auszubildende und Schüler*innen, die neben der Schule einen Minijob machen. Während die Quote in Ostdeutschland bei fast 30 Prozent liegt, profitieren in Westdeutschland, inklusive Berlin, gut 16 Prozent der Beschäftigten. So das Ergebnis einer Studie des WSI vom November 2022. Die Studie blickt dabei auch auf die einzelnen Landkreise in Deutschland. Demnach haben in den Kreisen Sonneberg in Thüringen 44 Prozent aller Beschäftigten einen Anspruch auf 12 Euro Mindestlohn, in Teltow-Fläming (Brandenburg) sind es 43,1 Prozent, Saale-Orla (Thüringen) 40 Prozent und im Kreis Vorpommern-Rügen 39 Prozent. Am niedrigsten ist der Anteil der Beschäftigten, die noch unter 12 Euro die Stunde verdient haben, in Wolfsburg (7,9 Prozent), Erlangen (8,1 Prozent), dem Landkreis München (9,7 Prozent) und in Stuttgart (10,3 Prozent). Schaut man auf die Bundesländer, ist in Mecklenburg-Vorpommern der Anteil der Beschäftigten, die jetzt 12 Euro Mindestlohn erhalten, mit 31,2 Prozent am höchsten, gefolgt von Thüringen (30,8 Prozent). In absoluten Zahlen leben allerdings die meisten Beschäftigten, die Anspruch auf die Mindestlohnerhöhung haben in den bevölkerungsreichsten Bundesländern Nordrhein-Westfalen (rund 1,3 Millionen Beschäftigte; Quote 16,8 Prozent) und Bayern (gut 930.000, Quote 14,7 Prozent). Unter den deutschen Millionenstädten weist Berlin mit 17,8 Prozent und knapp 305.000 Personen die höchste Quote und absolute Zahl der Betroffenen auf. Es folgen Hamburg (14,7 Prozent; gut 160.000), Köln (14,5 Prozent; gut 94.000 Personen) und München (11,1 Prozent; gut 107.000).
Ja, alle Beschäftigten, die in Deutschland arbeiten, haben seit dem 1. Januar 2015 grundsätzlich Anspruch auf den geltenden Mindestlohn. Das gilt auch, wenn die Beschäftigten oder die Unternehmen, bei denen sie angestellt sind, aus dem Ausland kommen.
Ja. Wie alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigte haben auch Taxifahrer*innen Anspruch auf den Mindestlohn. Anders sieht es bei den Selbstständigen aus – egal in welcher Branche: Für sie gilt der gesetzliche Mindestlohn nicht.
Der Gesetzgeber hatte eine Ausnahme für Zeitungszusteller*innen festgelegt. Sie hatten seit dem 1. Januar 2015 mindestens Anspruch auf 75 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns (6,38 Euro) und ab dem 1. Januar 2016 auf 85 Prozent (7,23 Euro). Ab dem 1. Januar 2017 haben sie dann auch mindestens 8,50 Euro pro Stunde erhalten. Seit 2018 bekommen die Zeitungszusteller*innen den Mindestlohn, der von der Mindestlohnkommission jeweils beschlossen wird. Was bedeutet das? Seit 2018 gilt ein einheitlicher Mindestlohn für alle.
Ab Januar 2015 hatten alle Beschäftigten grundsätzlich 8,50 Euro brutto pro Stunde erhalten. Zum 1. Juli 2021 wird er um 10 Cent auf 9,60 Euro pro Stunde steigen, ab 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro, ab 1. Oktober 2022 auf 12 Euro.
Während einer Übergangsfrist zwischen 01.01.2015 und 31.12.2016 konnte über Tarifverträge, die für allgemein verbindlich erklärt wurden, von den 8,50 Euro nach unten abgewichen werden. Allgemein verbindliche Tarifverträge gelten immer für alle Beschäftigten einer Branche, unabhängig davon, ob der einzelne Betrieb selbst einen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Von den 2015 eingeführten 8,50 Euro Mindestlohn abweichende Tarifverträge gab es zum Beispiel bei Friseuren, Beschäftigten in der Fleischindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft und im Gartenbau. Allgemein verbindliche Branchenmindestlöhne, die bereits existierten und höher als 8,50 Euro lagen (z.B. im Bauhauptgewerbe) hatten natürlich weiterhin Bestand.
Beschäftigte, die befristet in einer Saison – zum Beispiel im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Landwirtschaft – arbeiten, erhalten den Mindestlohn. Wenn die Saisonbeschäftigung weniger als 50 Tage im Jahr ausgeübt wird, muss für diese Tätigkeit keine Sozialversicherung gezahlt werden. Das gilt aber nur, wenn die Beschäftigung nur gelegentlich und nicht berufsmäßig ausgeübt wird. Das heißt, diese Tätigkeit darf nicht allein für die Sicherung des Lebensunterhalts bestimmend sein. Deswegen können Personen, die arbeitslos sind, diese Ausnahme nicht in Anspruch nehmen. Da weder Arbeitgeber noch Beschäftigte für die saisonale Beschäftigung Sozialversicherungsbeiträge zahlen, stellt sich die Frage, wer die soziale Sicherung übernimmt. Es sollte in jedem Fall sichergestellt sein, dass eine Kranken- und Unfallversicherung besteht. Dies muss mit dem Arbeitgeber geklärt werden. Arbeitgeber können zudem Kosten für Essen und Unterkunft in angemessenem Rahmen vom Mindestlohn abziehen. Auch ein Wegegeld kann unter bestimmten Umständen vom Mindestlohn abgezogen werden.
Jede*r muss sich an das Gesetz halten, sonst drohen Strafen/Bußgelder. Zunächst sollte der Vorgesetzte auf das Mindestlohngesetz hingewiesen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) informiert über den Mindestlohn. Telefonisch gibt das Bürgertelefon des BMAS montags bis donnerstags von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr unter 030/60 28 00 28 zum Thema Mindestlohn Auskunft. Kommt es hart auf hart, muss leider jede*r einzelne betroffene Beschäftigte den Arbeitgeber auf Zahlung des Mindestlohns verklagen. Gewerkschaftsmitglieder können sich bei ihrer Gewerkschaft kostenlos rechtlich beraten lassen und erhalten im Ernstfall Rechtsschutz.
Gegner branchenspezifischer Mindestlöhne und eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns führen immer wieder an, sie würden Arbeitsplätze vernichten. Tatsächlich haben weder Branchenmindestlöhne noch der gesetzliche Mindestlohn zum Abbau von Beschäftigung geführt. Vielmehr hat sich die Einkommenssituation von Millionen Beschäftigten im Niedriglohnsektor deutlich verbessert. Über 80 Prozent der Bevölkerung sprechen sich längst für einen Mindestlohn aus. Vor allem ver.di und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) haben über die Jahre, in denen sie sich für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland eingesetzt haben, dafür gesorgt, dass der Öffentlichkeit bewusst geworden ist, dass viel zu viele Menschen für Löhne schuften müssen, die zum Leben nicht reichen. Sie haben öffentlich gemacht, dass Niedriglöhne vor allem ein lohnendes Geschäftsmodell für Arbeitgeber sind, das wir alle über unsere Steuergelder mitfinanzieren.
Existenzsichernde Lohnuntergrenzen, also Mindestlöhne, gibt es auch in vielen anderen Ländern. 18 EU-Staaten haben ihre Mindestlöhne zum Jahreswechsel 2023 erhöht, mehrere zudem auch während des Jahres 2022. Der mittlere Zuwachs (Medianwert) in der Europäischen Union betrug gegenüber dem 1. Januar 2022 nominal 12 Prozent. Das ist der mit Abstand höchste Wert seit dem Jahr 2000.
Durch den sprunghaften Anstieg der Verbraucherpreise lag die inflationsbereinigte Steigerung im EU-Mittel aber nur bei 0,6 Prozent. Dabei ist die Spreizung zwischen vielen Mitgliedsländern sehr groß: Sie reicht von einem realen Zuwachs von 12,4 Prozent beim Spitzenreiter Deutschland bis zu einem Verlust von 6,7 Prozent beim Schlusslicht Estland.
Mit 12 Euro Mindestlohn stand Deutschland zum Jahresbeginn 2023 unter den EU-Ländern an Position zwei, im Vorjahr rangierte Deutschland noch durchgängig seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 an sechster und letzter Stelle unter den westeuropäischen EU-Mitgliedern. Ein deutlich höherer Mindestlohn gilt derzeit nur in Luxemburg (13,80 Euro). Mit geringem Abstand auf Deutschland folgen die Nachbarländer Belgien (11,85 Euro) und die Niederlande (11,75 Euro). In Irland müssen mindestens 11,30 Euro pro Stunde gezahlt werden, in Frankreich 11,27 Euro. Belgien, die Niederlande und möglicherweise auch Frankreich dürften in diesem Jahr aber wieder an Deutschland vorbeiziehen, weil dort die Lohnuntergrenzen bis Ende 2023 voraussichtlich erneut erhöht werden. In Belgien und Frankreich ist beispielsweise gesetzlich geregelt, dass der Mindestlohn zeitnah mindestens die Preissteigerung ausgleichen muss.
Die Mindestlöhne in den südeuropäischen EU-Staaten reichen mit Stand 1. Januar 2023 von 4,12 Euro in Griechenland und 4,50 Euro in Portugal bis zu 6,55 Euro in Spanien. Etwas darüber liegt mit 6,96 Euro Slowenien. In den meisten anderen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne niedriger. Allerdings haben Litauen und Polen mit Lohnuntergrenzen von 5,14 bzw. umgerechnet 4,87 Euro mittlerweile mehrere „alte“ südeuropäische Mitgliedsstaaten überholt. In der Tschechischen Republik müssen aktuell umgerechnet mindestens 4,23 Euro pro Stunde gezahlt werden, in Kroatien 4,05 Euro und in der Slowakei 4,02 Euro. Die EU-weit niedrigsten Mindestlöhne gelten in Rumänien mit umgerechnet 3,64 Euro, Ungarn mit 3,41 Euro und Bulgarien mit 2,41 Euro.
Die Niveauunterschiede spiegeln zum Teil unterschiedliche Lebenshaltungskosten wider. Legt man Kaufkraftstandards (KKS) zugrunde, reduziert sich der Abstand zwischen den EU-Ländern mit niedriger und relativ hoher Untergrenze spürbar. Polen (in KKS knapp 8 Euro), Slowenien, aber auch Rumänien liegen bei dieser Betrachtungsweise beispielsweise vor (fast) allen südeuropäischen Mitgliedsstaaten. Das Preisniveau in Deutschland liegt über dem europäischen Durchschnitt, so dass der Mindestlohn in KKS etwas niedriger ausfällt und 10,55 Euro beträgt. Bei den westeuropäischen Nachbarn ist der Effekt noch größer.
Auch außerhalb der EU werden Mindestlöhne gezahlt. Exemplarisch betrachtet das WSI die Mindestlöhne in 16 Nicht-EU-Ländern mit ganz unterschiedlichen Mindestlohnhöhen. Sie reichen von umgerechnet 1,09 Euro in Brasilien, 1,30 Euro landesweit in Russland über 6,96 Euro in Japan bis zu umgerechnet 10,90 Euro in Kanada, 11,14 Euro in Großbritannien, 12,78 Euro in Neuseeland und 14,10 Euro in Australien. Praktisch nicht mehr existent ist der landesweite Mindestlohn nach Einschätzung der WSI-Experten in den USA, weil er seit 2009 nicht mehr erhöht wurde und mit umgerechnet 6,89 Euro nicht zum Überleben reicht. Daher gibt es neben der sehr niedrigen nationalen Lohnuntergrenze in mittlerweile 27 US Bundesstaaten und Washington DC höhere regionale Untergrenzen. In Kalifornien beträgt der Mindestlohn umgerechnet 14,72 Euro und in New York 13,49 Euro.