Schluss mit den Kirchen-Privilegien

Kirchen, Diakonie und Caritas: Es ist überfällig, die gesetzlichen Privilegien für kirchliche Arbeitgeber abzuschaffen. Die Beschäftigten des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar fordern deshalb von ihrem kirchlichen Arbeitgeber die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit ver.di.
17.01.2025
Streikrecht ist Grundrecht – das gilt auch für die Kirche als Arbeitgeberin

Proteste für gleiche Rechte und bessere Bedingungen

Die Beschäftigten des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar fordern von ihrem kirchlichen Arbeitgeber die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit ver.di. Statt darauf einzugehen, haben Kirche, Diakonie und Klinikleitung jedoch Klage gegen die Warnstreikaufrufe der Gewerkschaft eingereicht. Am 19. Februar wird das Erfurter Arbeitsgericht darüber verhandeln. 

Am Freitag, den 17. Januar 2025, demonstrierten rund 100 Beschäftigte des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar sowie anderer kirchlicher Einrichtungen vor dem Landeskirchenamt in Erfurt. Sie machten mit ihrer Kundgebung auf die zentralen Forderungen aufmerksam: ein verbrieftes Streikrecht, bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung.

„Die Beschäftigten des Klinikums Weimar wollen über ihre eigenen Arbeitsbedingungen mitbestimmen und fordern dafür Tarifverhandlungen“, erklärte Bernd Becker, der bei ver.di in der mitteldeutschen Region für das Gesundheitswesen zuständig ist. Er betonte, dass es nicht akzeptabel sei, wie der Arbeitgeber dieses Anliegen blockiere. „Die Koalitionsfreiheit ist ein Grundrecht, das auch für Beschäftigte kirchlicher Einrichtungen gilt.“

Statt auf die Forderungen einzugehen, haben Kirche, Diakonie und Klinikleitung Klage gegen die Warnstreikaufrufe der Gewerkschaft eingereicht. Mehrfach wurden Arbeitsniederlegungen mit einstweiligen Verfügungen verhindert. Mit Blick auf das anstehende Hauptsacheverfahren vor dem Erfurter Arbeitsgericht am 19. Februar hofft Becker, „dass die Gerichte die demokratische Mitbestimmung stärken.“

Hintergründe und kirchliche Arbeitspraktiken

Die Kirchen zählen mit ihren unterschiedlichen Einrichtungen bei Caritas und Diakonie und einer Beschäftigtenzahl von rund 1,8 Millionen Menschen zu den größten Arbeitgebern Deutschlands. Dabei betreiben sie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und -dienste, Einrichtungen der Behinderten- und Jugendhilfe, Rettungsdienste, Kitas und vieles mehr. Wie andere Arbeitgeber auch setzen Caritas und Diakonie gängige Praktiken wie Outsourcing, Tarifflucht, sachgrundlose Befristungen oder Leiharbeit ein, bestehen jedoch auf Sonderregeln im Arbeitsrecht. Dieses Ungleichgewicht wird von Beschäftigten und der Gewerkschaft ver.di kritisiert, denn Streikrecht ist ein Grundrecht.

 

„Wir wollen als Gewerkschaft nicht über den Gottesdienst mitbestimmen, sondern mit den Arbeitgebern auf Augenhöhe über Bezahlung und Arbeitsbedingungen verhandeln.“

Sylvia Bühler, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft

„Das kirchliche Sonderrecht ist völlig aus der Zeit gefallen. Die etwa 1,8 Millionen Beschäftigten von Kirchen, Diakonie und Caritas haben die gleichen Rechte verdient wie alle anderen“, erklärte Sylvia Bühler, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands. „Wir wollen als Gewerkschaft nicht über den Gottesdienst mitbestimmen, sondern mit den Arbeitgebern auf Augenhöhe über Bezahlung und Arbeitsbedingungen verhandeln.“

Die Gewerkschafterin verwies bei der Kundgebung darauf, dass Tarifverträge mit kirchlichen Einrichtungen in anderen Bundesländern – beispielsweise in Niedersachsen, Hessen und Norddeutschland – möglich sind. „Kirchen und Tarifverträge – das geht!“, sagte Bühler. Sie unterstrich, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Kirchen wichtig sei: „Gemeinsam verteidigen wir den Sozialstaat und stemmen uns gegen autoritäre und populistische Bestrebungen in der Politik. Gemeinsam können wir auch die Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Gesundheits- und Sozialeinrichtungen gut gestalten.“

Privates sollte privat bleiben

ver.di hatte bereits zuvor in einer Petition gefordert, dass die Sonderregeln für Kirchen aus §9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gestrichen werden. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es zum Beispiel möglich, dass Kirchen Ärzbundesarbeit*innen oder Erzieher*innen kündigen, die sich scheiden lassen oder aus der Kirche ausgetreten sind – Entscheidungen, die die Kolleg*innen privat und alleine mit sich auszumachen haben. Noch immer wird die Konfessionalität vor Professionalität gestellt. Dabei ist es gerade im Bereich der Daseinsvorsorge existentiell, die Professionalität der Arbeit für und mit Menschen über den sogenannten Verkündigungsauftrag zu stellen.

Auch die Ausnahmen von gesetzlichen Mitbestimmungsrechten in Betrieben und Unternehmen müssen weg, zum Beispiel die im §118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) beschriebenen Einschränkungen der grundgesetzlich geschützten Presse- und Meinungsfreiheit in sogenannten Tendenzbetrieben.

Gesetzliche Privilegien auf Kosten der Beschäftigten

Die Dringlichkeit des Anliegens wird anhand eines Falls einer Hebamme (hier geht's zum Interview) deutlich, die fünf Jahre vor der Einstellung aus der Kirche ausgetreten war und sich später um eine Stelle in einem katholischen Krankenhaus bewarb. Obwohl sie weiterhin gläubig war, wurde sie während der Probezeit entlassen, als ihr Kirchenaustritt bekannt wurde. Der Fall wurde vor den Europäischen Gerichtshof gebracht, mit dem Ziel, einen Präzedenzfall zu schaffen. Letztendlich gab es jedoch kein Urteil, da die Kirche sie schließlich wieder einstellte - nach insgesamt vier Jahren Auseinandersetzung.