Gesetzliche Privilegien auf Kosten der Beschäftigten
Klare Worte gab es beim ver.di-Bundeskongress am 19. September 2023 auch für Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales (SPD): „Wir fordern von ihm, dass er nicht nur das kirchliche Arbeitsrecht prüft, sondern, dass er es abschafft“, erklärte Daniel Wenk, einer der Kolleg*innen, die den Antrag A 120 „Kirchliches Arbeitsrecht ist kein Muss! Arbeitnehmer*innenrechte in kirchlichen Betrieben ausnahmslos stärken“ auf den Weg gebracht haben. Gleiches Recht für 1,8 Millionen Beschäftigte bei Kirchen, Diakonie und Caritas, davon allein 1,4 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Wirtschaftsunternehmen von Caritas und Diakonie, die in verschiedenen sozialen Bereichen tätig sind: Das ist überfällig! Mit ihren Einrichtungen sind die Kirchen einer der größten Arbeitgeber Deutschlands – und sie werden fast ausschließlich aus Steuermitteln und Sozialversicherungsbeiträgen finanzieren.
Die Dringlichkeit des Anliegens beleuchtet er anhand eines aktuellen Falls und berichtete von einer Hebamme (Hier zum Interview), die fünf Jahre vor der Einstellung aus der Kirche ausgetreten war und sich später um eine Stelle in einem katholischen Krankenhaus bewarb. Obwohl sie weiterhin gläubig war, wurde sie in der Probezeit gekündigt, als ihr Kirchenaustritt bekannt wurde. Der Fall wurde vor den Europäischen Gerichtshof gebracht, und Wenk sieht Anzeichen dafür, dass die betroffene Hebamme Recht bekommen wird.
Konfessionalität wird vor Professionalität gestellt, das ist ein Skandal
Dass für diese Kolleg*innen eine Art Arbeitsrecht zweiter Klasse gilt, ist ein unerträglicher Anachronismus, der endlich abgeschafft gehört. ver.di kritisiert diese gesetzlichen Privilegien, die von Kirche, Diakonie und Caritas im Arbeitsrecht ausgenutzt werden, um Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Beschäftigten zu erlangen. Kirchen agieren wie jeder andere Arbeitgeber und nutzen gängige Praktiken wie Outsourcing, Tarifflucht, sachgrundlose Befristungen oder Leiharbeit. Dennoch bestehen sie auf ihren rechtlichen Privilegien als konfessionelle Arbeitgeber. ver.di hat deshalb die Petition "Gleiches Recht für kirchliche Beschäftigte" veröffentlicht und setzt auf die Unterstützung der Mitglieder.
Die Petition fordert zum einen, dass endlich Schluss ist mit der Diskriminierung von Kolleg*innen aufgrund privater Entscheidungen. Dafür müssten die Sonderregeln für Kirchen aus §9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gestrichen werden. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es zum Beispiel möglich, dass Kirchen Ärzt*innen oder Erzieher*innen kündigen, die sich scheiden lassen oder aus der Kirche ausgetreten sind – Entscheidungen, die die Kolleg*innen privat und alleine mit sich auszumachen haben. Noch immer wird die Konfessionalität vor Professionalität gestellt. Dabei ist es grade im Bereich der Daseinsvorsorge existentiell, die Professionalität der Arbeit für und mit Menschen über den so genannten Verkündigungsauftrag zu stellen.
Auch die Ausnahmen von gesetzlichen Mitbestimmungsrechten in Betrieben und Unternehmen müssen weg, zum Beispiel die im §118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) beschriebenen Einschränkungen der grundgesetzlich geschützten Presse- und Meinungsfreiheit in so genannten Tendenzbetrieben.
Es bleibt notwendig, den Druck aufrecht zu erhalten, da das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales bislang noch sehr zurück haltend agiert.
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