Arbeiten am Limit – Burnout-Risiko in der Sozialen Arbeit

Blieben Missstände in vielen Berufsgruppen während der Pandemie unsichtbar, so zeigt nun eine bundesweite, durch die Hochschule Fulda und ver.di durchgeführte Studie, dass Beschäftigte in der Sozialen Arbeit zunehmend an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Das ergibt die Befragung von über 8200 Beschäftigten im November 2022, die am 21. März in Berlin vorgestellt wurde.
© Peter Steffen/dpa
Wendetreppe auf der eine erschöpfte Frau sitzt.
23.03.2023

Im Ergebnis ist das Burnout-Risiko der Beschäftigten, insbesondere in den Inobhutnahmestellen, der Behindertenhilfe, in den Kitas und in den Jugendämtern – jedoch auch über alle Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit durchweg hoch. Besonders betroffen sind die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die öffentlichen Träger seien im Vergleich zu kirchlichen oder privaten Trägern besonders belastet, da sie sich als staatliche Institution nicht aus der Verantwortung ziehen und bei Überlastung nicht „wegducken“ können, erklären die Autor*innen der Studie, Prof. Dr. Nikolaus Meyer der Hochschule Fulda und Dr. Elke Alsago von ver.di.

Über alle Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit hinweg arbeitet mehr als ein Drittel (38,9 Prozent) der Befragten regelmäßig drei oder mehr Stunden wöchentlich zusätzlich und über 65 Prozent der Befragten stehen bei ihrer Arbeit unter Zeitdruck. Die Gründe hängen unmittelbar mit der Corona-Pandemie zusammen. Die gestiegenen Hilfebedarfe der Klient*innen, der Personalmangel und die dadurch entstehende Mehrarbeit können nur durch die hohe Aufopferungsbereitschaft der Beschäftigten und Überstunden bewältigt werden. Lediglich 17 Prozent der Befragten würden nicht regelmäßig Überstunden leisten, fast die Hälfte schleppt sich krank zur Arbeit, verzichtet auf Ruhepausen und etwa die Hälfte der Befragten schafft es häufig nicht, die anfallende Arbeitsmenge zu bewältigen. Dabei scheint das Alter keinen Einfluss auf das Burnout-Risiko zu haben. Die Ergebnisse der Befragung, egal ob jung oder älter, waren bis auf die Nachkommastelle identisch.

Ein alter Hut

Das alles ist jedoch kein neues Phänomen. Bereits vor 10 Jahren machten viele Beschäftigte eine Belastungsanzeige. Doch die Situation und Belastung in der Sozialen Arbeit habe sich in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt. Dabei sei versäumt worden, Fachkräfte auszubilden und einzustellen und die Angebote mit Beschäftigten und Ressourcen auszustatten. „Oft ist das Angebot abhängig von der Finanzkraft der Kommunen. Das führt zu einer prekären Situation für Beschäftigte und Adressatinnen und Adressaten“, erklärt die ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Dr. Elke Alsago.

Das alles hat nicht nur Folgen für die 1,5 Millionen Beschäftigten, sondern ebenfalls für die über 5 Millionen Klient*innen. Durch den gestiegenen Druck haben Streit und Konflikte in den Einrichtungen der sozialen Arbeit erheblich zugenommen. Fragt man die Beschäftigten, so nehmen sie eine deutliche Verschlechterung im sozialen Zusammenleben sowie der psychischen Gesundheit der betreuten Familien, jugendlichen Klienten und Menschen mit Behinderung wahr.

Weiblich, in Teilzeit und schlecht bezahlt

Entsprechend der Verteilung in diesem Berufsfeld zeigt sich auch unter den Befragten, wer die Betroffenen sind. Etwa 60 Prozent der Befragten sind weiblich, arbeiten in Teilzeit und sind schlecht bezahlt. Sozialassistentinnen und Kinderpflegerinnen in Kitas in Bayern beispielsweise verdienen selbst nach 17 Jahren im Beruf kaum mehr als 3244 Euro brutto.

Ein weiteres Problem ist, dass mehr als 70 Prozent der ausgeschriebenen Stellen Teilzeitstellen sind. Dort, wo es Vollzeitstellen gibt, sind die Beschäftigten so überlastet, dass sie freiwillig in Teilzeit gehen. Die hohe Fluktuation ist vor allem auf die Arbeitsbelastung zurückzuführen, so die Autor*innen der Studie.

Angesichts der sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und der steigenden Belastung gehen aktuell mehr als 77 Prozent der Befragten davon aus, nicht bis zur Rente weiterarbeiten zu können.

Laute Stimmen aus der Praxis

Prof. Dr. Nikolaus Meyer der Hochschule Fulda sieht hier eine wichtige Aufgabe für ver.di und spricht von einem Flächenbrand in der Sozialen Arbeit. Bei einer begleitenden Podiumsdiskussion in Berlin unter dem Titel “Soziale Arbeit an der Belastungsgrenze – Kollaps verhindern!” beschreibt die Berliner Erzieherin Anne Lemke die schlechten Arbeitsbedingungen aus ihrer Perspektive. Das Dilemma sei, dass die Angestellten versuchen, alles aufzufangen und den Fachkräftemangel zu kompensieren, erklärt die junge Frau. Sie wirft der Politik vor, zu wenig zu tun. Sie und ihre Kolleginnen haben das Gefühl, dass der Handlungsbedarf noch nicht konkret angekommen ist, weil eben alles kompensiert wird. Ein Teufelskreis. Der Druck, den sie verspüren, müsste irgendwie nach oben an die Politik weitergegeben werden.

Ein Weg könnte auch die Arbeitsniederlegung sein, findet Christine Rapp, ehem. Betriebsratsvorsitzende des Vereins „Leben mit Behinderung“ in Hamburg. “Alleine werden sie es nicht mehr schaffen”, macht sie klar und ruft zum Aufstehen auf und ermuntert ihre Kolleginnen und Kollegen in der Behindertenhilfe und den anderen Berufen zum Streik. Der Arbeitgeber müsse verstehen, wie schlimm es um die Beschäftigten stehe.

Auch in der Kreisverwaltung Offenbachs sind im sozialen Dienst alle überlastet. Runa Pal, Gesamtpersonalratsvorsitzende berichtet, dass ganze Teams Belastungsanzeigen gestellt hätten. In einem anderen Jugendamt hätten sich Beschäftigte sogar gemeinschaftlich wegbeworben. Die Überlastungsanzeigen in Hessen seien ein stumpfes Schwert. Sie empfiehlt, beim Gesundheitsschutz anzusetzen und regt dazu die Personalbemessung an.

Den Druck, der auf den Beschäftigten lastet, da sind sich alle einig, müsse man endlich an die Politik weitergeben.