Überlastungsanzeige, Gefährdungsanzeige, Gefährdungsbeurteilung: Schutz am Arbeitsplatz durchsetzen

Termindruck, Personalausfall, Stress am Arbeitsplatz – auf Dauer leidet da die Gesundheit. Beschäftigte sind aber nicht wehrlos. Sie können eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige schreiben. Arbeitgeber sind nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, ihre Beschäftigten vor gesundheitlichen Gefährdungen zu schützen, Risiken zu ermitteln und abzustellen – u.a. mit Hilfe der für sie vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung

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An drei Kleiderpuppen läuft eine Frau in der Zwickauer Kammgarn GmbH in Wilkau-Haßlau vorbei. Die Puppen tragen (von links) Arbeitsschutzkleidung, Funktionsunterwäsche und Kleidung für die Feuerwehr
14.11.2024

INHALT

Beschäftigte sind nicht wehrlos

Jeder zweite Beschäftigte glaubt, seine Arbeit nicht bis zum Renteneintritt ausüben zu können. Das ist das Ergebnis einer Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit 2023. Gründe sind u.a. widrige Umgebungsbedingungen, körperlich schwere Arbeiten, Lärm, fehlendes Personal, Zeitdruck und Angst vor Gefahren durch Konflikte.

Beschäftigte sind aber nicht wehrlos bei Gefährdungen für ihre Gesundheit. Arbeitgeber sind verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben und die Gesundheit ihrer Beschäftigten am Arbeitsplatz zu schützen und Gefährdungen für die Gesundheit zu vermeiden. Dieser Schutzanspruch ist in Gesetzen und Verordnungen geregelt und nicht freiwillig. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt Arbeitgebern dazu auch eine Gefährdungsbeurteilung vor, mit der sie mögliche Gefährdungen und Risiken am Arbeitsplatz ermitteln, analysieren und abstellen müssen.

Beschäftigte können aber auch selbst eine Gefährdungsanzeige bzw. Überlastungsanzeige schreiben. Diese wird an den Arbeitgeber gerichtet. Beispielsweise wenn die Arbeit so organisiert ist, dass sie ein Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten ist und/oder auch andere Menschen zu Schaden kommen oder verletzt werden können. Beschäftigte sind hier in der Verantwortung und können sich mit der Gefährdungsanzeige vor Haftungsansprüchen schützen.

Nachfolgend erfahren Beschäftigte alles, was sie zum Schutz ihrer Gesundheit am Arbeitsplatz, zu Überlastung, Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige und Gefährdungsbeurteilung wissen müssen.

 

1. Was ist eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige?

Durch steigende Arbeitsbelastungen werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im hohen Maße beansprucht. Dadurch können sich mit der Zeit Fehler in der Erledigung der Arbeitsaufgaben einschleichen. Das kann die Betriebsabläufe stören, die eigene Sicherheit gefährden, zu Sachschäden führen und auch andere Menschen verletzen. Die Gefährdungsanzeige informiert Arbeitgeber über die vorhandenen Probleme. Arbeitgeber müssen dann handeln und die Gefährdungen abstellen.

Eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige ist der (schriftliche) Hinweis an den Arbeitgeber bzw. unmittelbaren Vorgesetzten mit der Kernaussage, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung in einer konkret zu beschreibenden Situation gefährdet ist, und Schäden zu befürchten sind. Sie bietet Beschäftigten die Möglichkeit, auf die gefährdende Situationen aufmerksam zu machen und sich im Rahmen etwaiger Haftungsansprüche zu entlasten, denn entstehende Sach- oder Personenschäden können für sie arbeits-, straf- und/oder zivilrechtlichen Konsequenzen haben.

Laut Arbeitsschutzgesetz (Paragraf 17, Absatz 1) können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes gegenüber ihren Arbeitgebern Stellung beziehen, beispielsweise mit einer Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige. Sorgt der Arbeitgeber nicht für Abhilfe, können die Beschäftigten die zuständigen Behörden benachrichtigen (Paragraf 17, Absatz 2). Daraus darf ihnen kein Nachteil entstehen.

Arbeitgeber sind verpflichtet, die Arbeit gefährdungsfrei zu organisieren. Aus dem Arbeitsschutzgesetz ergibt sich für sie eine „Fürsorgepflicht“. Sie müssen dafür sorgen, dass die Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz nicht gefährdet wird. Wenn sie eine Überlastungsanzeige erhalten, müssen sie handeln. Sie müssen aber auch selbst die Initiative ergreifen und eine Gefährdungsbeurteilung erstellen. Diese erfordert nach dem Arbeitsschutzgesetz, Gefährdungen zu analysieren, Maßnahmen zu ergreifen, sie auf ihre Wirkung zu überprüfen und notfalls neue Maßnahmen zu ergreifen.

Hinweis: Fachlich hat sich der Begriff Gefährdungsanzeige durchgesetzt, auch wenn im Sprachgebrauch meist von einer Überlastungsanzeige gesprochen wird. Der Begriff Überlastung könnte aber implizieren, dass es um die Überlastung eines Einzelnen geht und nicht um Gefährdungen aufgrund der Arbeitsorganisation. Das kann mit dem Begriff Gefährdungsanzeige vermieden werden.

Bei der Gefährdungsanzeige wird darauf hingewiesen, dass es eine Gefährdungslage gibt, weil objektiv die Arbeitsbedingungen so unzureichend sind, dass sie nicht mehr sicher geleistet werden können und es zu Gefährdungen kommen kann. Wenn so eine kritische Situation vorliegt, sollten Beschäftigte möglichst gemeinsam eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige schreiben, um die Lage deutlich zu machen.

 

2. In welchen Bereichen ist die Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige besonders relevant?

Immer öfter sind Arbeitnehmer*innen einem steigenden Leistungs- und Verantwortungsdruck ausgesetzt, sodass sie krank werden, an Körper und Seele. Das reicht vom Bandscheibenvorfall bis hin zum Burnout. Besonders betroffen sind Beschäftigte im Dienstleistungssektor, beispielsweise in Kliniken, in sozialer Arbeit, in Bürgerämtern, in der Logistik und Zustellung.

Beispielsweise über 75 Prozent der Krankenpfleger*innen und 67 Prozent der Altenpfleger*innen glaubten in einer Umfrage des DGB, dass sie ihren Beruf unter den aktuell schweren Bedingungen wahrscheinlich nicht bis zur Rente ausüben können (Sonderauswertung des DGB Index für Gute Arbeit zur Pflege 2018-2022). ver.di setzt sich deshalb unermüdlich für Entlastung in der Pflege ein und hat auch schon vieles erreicht. Hierbei zeigt sich, wie wichtig es ist, Gefährdungen zu ermitteln und gegenzusteuern, damit auch morgen noch genügend Fachkräfte in diese Berufe gehen.

Auch in der sozialen Arbeit stoßen Beschäftigte vermehrt an ihre Belastungsgrenze (Studie von ver.di und der Hochschule Fulda, 2023). Im Ergebnis sei das Burnout-Risiko, insbesondere in den Inobhutnahmestellen, der Behindertenhilfe, in den Kitas und in den Jugendämtern, jedoch auch über alle Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit durchweg hoch. Besonders betroffen: Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Mehr als ein Drittel der Befragten arbeitet regelmäßig drei oder mehr Stunden in der Woche zusätzlich. Über 65 Prozent der Befragten stehen bei ihrer Arbeit unter Zeitdruck.

Auch der Arbeitsalltag in den Bürgerämtern, wo etwa Personalausweise, Geburtsurkunden und Meldebescheinigungen ausgestellt werden, ist belastend. Rund ein Viertel aller in einer Studie befragten Beschäftigten hat schon mindestens einmal im Dienst Gewalt erleben müssen (Studie zu Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung).

Im Oktober 2024 berichtete die Tagesschau über Aggressionen gegen Zustellerinnen und Zusteller. Besonders Beschäftigte mit Migrationshintergründen würden laut Konzernvorstand der Post angefeindet, beleidigt und beschimpft. Auch wenn es nicht immer zu körperlicher Gewalt kommt, hinterlassen solche Situationen Spuren in der Psyche. Auch das kann zu einer Gefährdung der Gesundheit führen.

Ob kaputter Rücken, Schlafmangel oder Panikattacken nach einem belastenden Übergriff, es zeigt sich, dass Beschäftigte im Dienstleistungssektor besonders häufig von Gesundheitsgefährdungen betroffen sind (Sonderauswertung auf Basis der Repräsentativumfrage mit dem DGB-Index Gute Arbeit; Arbeitsberichterstattung „Arbeitsbelastung hoch, Arbeitsschutz mangelhaft“, 2024)

Im Durchschnitt leidet nach dieser Auswertung jeder zweite Beschäftigte im Dienstleistungssektor (quer durch alle Branchen) unter Arbeitshetze und Zeitdruck. An vorderste Stelle steht das Gesundheitswesen (74 Prozent).

Unter körperlich schwerer Arbeit leiden 28 Prozent aller befragten Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Zuvorderst der Einzelhandel (53 Prozent) und die Arbeit im Bereich Transport, Verkehr und Post (48 Prozent).

Unter Lärm leiden im Dienstleistungssektor 37 Prozent der befragten Beschäftigten. An erster Stelle die Beschäftigten in Erziehung und Unterricht (77 Prozent) gefolgt von Transport, Verkehr und Post (49 Prozent).

Unter Konflikten mit der Kundschaft, mit Patient*innen und anderen Menschen bei der Interaktionsarbeit leiden im Dienstleistungssektor 25 Prozent der Befragten. An erster Stelle Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung (35 Prozent).

Erschwerend kommt für die Gesundheit der Beschäftigten im Dienstleistungssektor hinzu, dass viele von ihnen unter Mehrfachbelastungen leiden: Arbeitshetze, körperlich harte Arbeit, Lärm, Konflikte mit der Kundschaft: 87 Prozent der befragten Beschäftigten sind im Dienstleistungssektor von mindestens zwei, 63 Prozent von mindestens drei dieser Belastungen in irgendeiner Form betroffen.

Ist die Arbeitsbelastung so hoch, dass die Gesundheit gefährdet ist, möglicherweise schon reihenweise Personal ausfällt wegen Burnout und anderer Erkrankungen, dann ist es höchste Zeit zu handeln.

Arbeitgeber haben eine „Fürsorgepflicht“ und müssen die Gesundheit der Beschäftigten schützen (Arbeitsschutzgesetz). Der für alle Arbeitgeber vorgeschriebene Weg, um Gefährdungen zu ermitteln, ist die Gefährdungsbeurteilung. Das aber macht nur jeder zweite Arbeitgeber, obwohl das Gesetz ihn dazu verpflichtet. Hier gibt es noch viel Handlungsbedarf.

Beschäftigte müssen nicht darauf warten, sie können und sollten auch selbst handeln und rechtzeitig eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige schreiben. Damit schützen sie ihre eigene Gesundheit, wenn langfristig Verbesserungen am Arbeitsplatz erreicht werden, und sie weisen auch evtl. Haftungsansprüche von sich, falls durch Überlastungen Menschen zu Schaden kommen oder es zu Sachschäden kommt.

Besonders relevant ist dies in Berufen, in denen die Beschäftigten sehr schweren Belastungen oder gar Mehrfachbelastungen ausgesetzt sind und in denen sie zusätzlich die Verantwortung für andere Menschen haben.

 

3. Schritte zur Erstellung einer Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige

Zunächst einmal sollten Betroffene die Überlastungssituation, während sie passiert, (oder am Abend danach) genau dokumentieren (auch mit Zeugen), bevor sie eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige schreiben. Allein schon aus Beweisgründen.

Wie eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige zu schreiben ist, darüber gibt es mangels gesetzlicher Vorschrift keine festgelegte Form. Da die Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige aber auch vor Regressansprüchen schützen soll, sollte sie für eine mögliche Beweislage schriftlich und auf dem Dienstweg erfolgen und an den Arbeitgeber bzw. Vorgesetzten gerichtet sein (mehrere Kopien).

Dabei kommt es darauf an, dass die kritische Situation ausführlich beschrieben wird, zu welchem Zeitpunkt sie auftritt und warum es so gekommen ist, zum Beispiel fehlende Pausen, ungeplanter Personalausfall, erhöhter Arbeitsanfall etc. und möglichst eine genaue Beschreibung der Situation.

Zudem kann es sinnvoll sein, die Gefährdungsanzeige im Namen einer Beschäftigtengruppe auszustellen, damit die Gefährdungslage nicht als Überlastung eines Einzelnen ausgelegt werden kann.

Schon vorab sollten Beschäftigte sich von ihrem Betriebsrat/Personalrat, der Mitarbeitervertretung oder für sie zuständigen Gewerkschaft beraten lassen. Spätestens wenn sie die Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige schreiben wollen, ist es dringend ratsam, den Betriebs- oder Personalrat oder die Mitarbeitervertretung zu informieren oder sich an die zuständige Gewerkschaft zu wenden – für Dienstleistungsberufe ist das ver.di.

In der Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige sollten möglichst auch Zeugen aufgeführt werden sowie Hinweise auf bereits erfolgte Gefährdungsanzeigen.

Unter Umständen muss auch auf das Arbeitszeitgesetz Bezug genommen werden. Das ist sinnvoll, wenn die Lage der Arbeitszeiten häufiger atypisch ist, zulässige Höchstarbeitszeitgrenzen überschritten und Pausen nicht eingehalten werden können oder ein (zeitnaher) Freizeitausgleich schwierig zu realisieren ist – um nur einige Beispiele zu nennen, die zu einer Überlastung und Gefährdung führen können.

Abschließend ist die Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige mit Datum, Namen und Unterschrift(en) zu versehen, entweder von Einzelnen, dem Team oder der Abteilung gemeinsam, denn sie ist eine Urkunde.

Wichtig zu wissen: Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Beschäftigte, den Arbeitgeber dabei zu unterstützen, den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu gewährleisten. Mängel müssen dem Arbeitgeber und auch dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit mitgeteilt werden (Paragrafen 16.1 und 2 Arbeitsschutzgesetz). Auch daraus ergibt sich schon für Beschäftigte die Pflicht, Überlastungen und Gefährdungslagen gegenüber dem Arbeitgeber aufzuzeigen.

Arbeitnehmer*innen sollten sich immer zeitnah Rat bei ihren Mitarbeitervertretungen und ihrer Gewerkschaft holen, denn unter Umständen haften sie, wenn sie nicht handeln. Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Reagiert der Arbeitgeber nicht auf Hinweise, so verletzt er seine Fürsorgepflicht.

 

4. Muster für eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige

Datum, Name des Beschäftigten/der Beschäftigten, betroffene Abteilung

–      Überschrift: Überlastungsanzeige oder besser Gefährdungsanzeige
–      Name des/der Beschäftigten, betroffene Abteilung
–      Empfänger, Name des Vorgesetzten/Chefs/Leiters
–      Genaue Beschreibung der Gefährdung/Überlastung, z.B. durch Mehrarbeit, keine Pausen, Fehlzeiten oder Urlaub anderer Beschäftigter, also fehlendes Personal, Belastung durch Lärm, schlechtes Klima oder fehlende Arbeitsgeräte, zu schwere Lasten etc.
–      Mögliche Auswirkungen und Folgen, auch für andere Beschäftigte und für Dritte wie Kunden, Patienten, Heimbewohner*innen etc.
–      Zeugen auflisten
–      Hinweis auf bereits erfolgte vorherige Gefährdungsanzeigen
–      Aufforderung zur unverzüglichen Abhilfe bzw. Verweis auf die aktuelle Gefährdungslage
–      Hinweis darauf, dass Fehler bei der Arbeit aufgrund der aufgeführten Mängel und Gefahren nicht auszuschließen sind
–      Hinweis darauf, dass alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt werden, um die Arbeitsaufgaben zu erfüllen und Schaden zu vermeiden (schließlich geht es nicht um eine Arbeitsverweigerung aufgrund der Überlastung, sondern um eine Gefährdungsanzeige)

Unterschrift, Datum

 

5. Ablauf nach Einreichung der Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige

Adressat der Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige ist immer der Arbeitgeber (Geschäftsführung), also das Unternehmen, der Betrieb, die Personalstelle. Direkte Vorgesetzte sollten durch Kopie in Kenntnis gesetzt werden.

Überlastungsanzeigen/Gefährdungsanzeigen müssen dem Arbeitgeber zugehen, das bedeutet, sie können durch persönliche Übergabe oder durch Einschreiben mit Rückschein erfolgen. Als Zeugen für die Übergabe bieten sich Mitglieder aus dem Betriebsrat, Personalrat oder anderen Mitarbeitervertretungen an. Sollte es keine Zeugen geben, dann sollte man sich die Aushändigung der Gefährdungsanzeige quittieren lassen. Beschäftigte müssen zudem eine Kopie der Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige für ihre eigenen Unterlagen behalten. Auch der Betriebsrat, Personalrat oder die Mitarbeitervertretung sollte eine Kopie bekommen.

Die abgegebene Gefährdungsanzeige ist eine Urkunde. Sie darf vom Arbeitgeber oder dessen Vertreter nicht verändert und schon gar nicht vernichtet werden (das wäre eine Straftat und Urkundenfälschung).

Die Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige kann auf Verlangen des Beschäftigten in der Personalakte aufbewahrt werden. Das macht deshalb Sinn, weil sie im Einzelfall zur Entlastung des Beschäftigten bei Eintritt von Schadensfällen dienen kann.

Eine erstattete Gefährdungsanzeige enthebt Beschäftigte nicht ihrer Pflichten. Sie müssen weiterhin ihr Bestes geben, Vorschriften beachten und alle Regeln einhalten, damit sie nicht wegen Fahrlässigkeit belangt werden können.

Für Arbeitgeber bedeutet der Eingang einer Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige, dass sie jetzt unverzüglich handeln und die Arbeitsbedingungen so gestalten müssen, dass die Beschäftigten nicht gefährdet sind. Arbeitgeber müssen die Gesundheit ihrer Beschäftigten schützen („Fürsorgepflicht“), sie müssen aktiv Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel mit der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung, und sie müssen spätestens handeln, wenn sie eine Gefährdungsanzeige der Beschäftigten bekommen haben und daraufhin die Arbeitsorganisation verbessern.

Beschäftigte laufen Gefahr, von ihren Arbeitgebern nach Abgabe einer Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige unter Druck gesetzt zu werden. Auch deshalb ist es wichtig, dass sie sich Beistand im Betriebsrat, Personalrat oder anderen Mitarbeitervertretungen holen. Sinnvoll ist es, die Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige gemeinsam mit Kolleg*innen zu erstellen, um einzelne vor Druck und Repressalien seitens des Arbeitgebers zu schützen. Eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige kann nämlich auch kollektiv gestellt werden – und sollte das besser auch.

Sollte es zu Benachteiligungen durch den Arbeitgeber nach einer Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige kommen, sollte unverzüglich der Betriebsrat, Personalrat oder die zuständige Mitarbeitervertretung informiert werden oder, falls diese nicht vorhanden sind, erneut gewerkschaftlicher Beistand eingeholt werden. Für Beschäftigte im Dienstleistungssektor ist das ver.di.

 

6. Die fünf wichtigsten Fakten zur Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige

1. Die Gefährdungsanzeige ist ein wichtiges Mittel für Beschäftigte, ihren Arbeitgeber auf Missstände am Arbeitsplatz aufmerksam zu machen. Langfristig können dadurch Gefährdungen für die Gesundheit verringert und die Arbeitsplätze verbessert werden. Zumal wenn Arbeitgeber ihre „Fürsorgepflicht“ ernst nehmen und Maßnahmen ergreifen, um die Überlastungen und Gefährdungen abzustellen.

2. Beschäftigte sind nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Gefährdungsanzeigen zu erstellen, wenn die Arbeitsbedingungen dies erfordern und negative Folgen zu befürchten sind.

3. Die Gefährdungsanzeige ist eine wichtige Möglichkeit zum Selbstschutz, wenn es um die Vermeidung persönlicher Risiken geht, die daraus folgen können, dass in Situationen erheblicher Überbeanspruchung nicht alle notwendigen Aufgaben zeitgerecht und vollständig wahrgenommen werden können.

4. Die Gefährdungsanzeige führt in der Regel dazu, dass eine Entlastung bezüglich strafrechtlicher oder zivilrechtlicher Folgen nach einem Schadensfall gegeben ist.

5. Die Einbindung der Arbeitnehmervertretung ist unbedingt empfohlen oder der Rat der zuständigen Gewerkschaft einzuholen. Betriebs- und Personalräte können initiativ tätig werden, indem sie Beschäftigte zum Thema Überlastung bzw. Gefährdung informieren und mit dem Arbeitgeber ein Verfahren aushandeln. Mitbestimmungsrechte für Betriebs- und Personalräte bestehen auch bei der gesetzlich für alle Arbeitgeber vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung.

 

7. Grundsätzliche Pflichten für Arbeitgeber zum Arbeitsschutz

1. Arbeitgeber müssen ihre Beschäftigten vor gesundheitlichen Gefahren schützen
Arbeitgeber haben eine sogenannte „Fürsorgepflicht“ für ihre Beschäftigten. Sie müssen Arbeitsbedingungen schaffen, „die jeden Beschäftigten vor Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit schützen“. Diese Pflicht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, Paragraf 618) festgeschrieben und wird durch das deutsche Arbeitsschutzrecht, insbesondere das Arbeitsschutzgesetz konkretisiert.

2. Arbeitgeber müssen Maßnahmen zum Arbeitsschutz ergreifen
Im Arbeitsschutzgesetz ist zudem nicht nur festgeschrieben, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten am Arbeitsplatz schützen müssen, es ist auch genau aufgelistet, was dazu gehört: Maßnahmen zur „Verhütung von Unfällen bei der Arbeit“ und „arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ einschließlich Maßnahmen der „menschengerechten Gestaltung der Arbeit“ (Paragraf 2, Arbeitsschutzgesetz).

3. Arbeitgeber müssen Gefährdungen am Arbeitsplatz verhindern
Das Arbeitsschutzgesetz listet als mögliche Gefährdungen am Arbeitsplatz auf:

  • die Einrichtung der Arbeitsstätte selbst
  • physikalische, chemische oder biologische Einwirkungen
  • Gefährdungen durch den Einsatz von Maschinen, Geräten und Arbeitsmitteln
  • durch Arbeitsabläufe und Arbeitszeit
  • durch eine unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten
  • psychische Belastungen

4. Arbeitgeber müssen Gefährdungen ermitteln und abstellen
Das Arbeitsschutzgesetz schreibt allen Arbeitgebern eine Gefährdungsbeurteilung vor (Paragraf 5, Absatz 1, Arbeitsschutzgesetz). Dabei geht es nicht nur darum, Gefährdungen zu analysieren, sie müssen auch behoben werden.
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Arbeitgeber zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes sowie zu deren Überprüfung und notfalls Anpassung der getroffenen Maßnahmen (Paragraf 3, Arbeitsschutzgesetz). Grundsätzlich ist Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird (Paragraf 4, Arbeitsschutzgesetz).

5. Arbeitgeber müssen zum Umgang mit Gefahren und in gefährlichen Bereichen schulen
Das Gesetz legt auch fest, dass Beschäftigte nur Zugang zu besonders gefährlichen Arbeitsbereichen haben, wenn sie zuvor geeignete Anweisungen erhalten haben und geschult sind. Zu dieser Vorsichtsmaßnahme sind Arbeitgeber verpflichtet (Paragraf 9, Arbeitsschutzgesetz). Beschäftigte müssen nicht nur darin geschult sein, wie sie mit erheblichen Gefahren für die eigene Sicherheit oder die Sicherheit anderer umgehen. Sie müssen auch selbst entscheiden können, wie sie Gefahren abwehren, wenn sie ihre Vorgesetzten nicht erreichen können. Bei direkter erheblicher Gefahr müssen sie sich in Sicherheit bringen können.

6. Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen am Arbeitsplatz
Arbeitgeber müssen entsprechend der Art der Arbeitsstätte und der Tätigkeiten sowie der Zahl der Beschäftigten Maßnahmen treffen, die zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind (Paragraf 10, Arbeitsschutzgesetz). Sie haben dafür zu sorgen, dass im Notfall die Erste Hilfe, medizinische Notversorgung, Bergung oder Brandbekämpfung erreicht werden. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber Beschäftigte benennen, die Aufgaben der Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten übernehmen. Und zwar in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten und den besonderen Gefahren im Unternehmen.

Arbeitgeber können die medizinische Notversorgung, Bergung oder Brandbekämpfung auch selbst wahrnehmen, wenn sie über die erforderliche Ausbildung und Ausrüstung verfügen.

 

8. Wer muss eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen?

Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht für alle Arbeitgeber (Paragraf 5, Absatz 1, Arbeitsschutzgesetz), um Beschäftigte vor Gefährdungen durch die Arbeit zu schützen. Vollständig ist die Gefährdungsbeurteilung erst, wenn sie neben den körperlichen Risiken für die Gesundheit auch psychische Folgen in den Blick nimmt, analysiert und möglichst abstellt.

Doch obwohl jeder Arbeitgeber (egal ob Betrieb, Großkonzern oder öffentliches Amt) eine vollständige Gefährdungsbeurteilung machen muss (physische und psychische Gefährdungen), halten sich noch immer nicht alle daran. In einer Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2023 haben nur 36 Prozent der Beschäftigten die Frage mit Ja beantwortet, ob für ihren Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen wurde; selbst in der öffentlichen Verwaltung betrug der Anteil nur 43 Prozent. Je größer der Betrieb war, desto eher wurde eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt.

Die im Arbeitsschutzgesetz geforderte „Gefährdungsbeurteilung“ geht, anders als der Begriff vermuten ließe, über das bloße Beurteilen hinaus. Arbeitgeber müssen auch handeln. Sie müssen die Gefährdungen analysieren und festlegen, welche Maßnahmen sie zum Schutz der Beschäftigten ergreifen. Sie müssen die Gefährdungsbeurteilung dokumentieren, die getroffenen Maßnahmen zum Arbeitsschutz überprüfen, ob sie wirken und, falls nötig, neue Maßnahmen ergreifen.

Bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung haben Betriebs-und Personalräte Mitbestimmungsrechte. Die Gefährdungsbeurteilung ist somit ein wichtiges Mittel für Interessenvertretungen, gute und vor allem sichere Arbeit für alle durchzusetzen. Immerhin, dort wo es einen Betriebsrat, einen Personalrat oder eine Mitarbeitervertretung gibt, antworteten 44 Prozent der Beschäftigten in einer Befragung des DGB, dass bei ihnen eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde.

Wie wichtig es ist Gefährdungen abzustellen zeigen diese Zahlen aus dem Dienstleistungssektor: 52 Prozent der Beschäftigten leiden häufig unter Arbeitshetze (betroffen ist besonders das Gesundheitswesen), 28 Prozent leiden unter körperlich schwerer Arbeit (vor allem im Einzelhandel, Transport, Verkehr, Post und Gesundheitswesen), 37 Prozent sind bei der Arbeit lauten Umgebungsgeräuschen oder Lärm ausgesetzt (vor allem in Erziehung und Unterricht, gefolgt von Transport, Verkehr, Post, Heimen und Sozialwesen) und 25 Prozent mit häufigem Kundenkontakt leiden immer wieder unter Konflikten oder Streitigkeiten mit der Kundschaft (am häufigsten in öffentlicher Verwaltung, aber auch in Erziehung und Unterricht, bei der Post und im Gesundheitswesen). Da gibt es für die Arbeitgeber noch viel Luft nach oben, um langfristige Gefährdungen für die Gesundheit der Beschäftigten zu verhindern.

 

Damit arbeiten wieder Spaß macht

Mit dem wachsenden Onlinehandel sind die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in der gesamten Logistikkette immer schwerer geworden. Das Paketaufkommen steigt, die Zustellgebiete werden größer und der Zeitdruck nimmt zu. Aber die Beschäftigten können sich Hilfe holen: Eine Gefährdungsbeurteilung, kurz GEBU, ermittelt, welchen Gefährdungen sie ausgesetzt sind und was dagegen getan werden muss.

9. Fazit und Handlungsempfehlungen

Beschäftigte sollten sich an ihre Betriebs- und Personalräte wenden, wenn bei ihnen noch nie eine Gefährdungsbeurteilung gemacht wurde oder sie gesundheitsgefährdenden Risiken ausgesetzt sind. Die Mitarbeitervertretungen haben ein wichtiges Mitspracherecht und bei der Einhaltung des Arbeitsschutzes und der Gestaltung einer Gefährdungsbeurteilung weitreichende Mitbestimmungsrechte, um Gefährdungen zu analysieren und abzustellen.

ver.di stellt Betriebs- und Personalräten eine Online-Handlungshilfe zur Verfügung, um eine vollständige Gefährdungsbeurteilung zu machen. Da jeder zweite Arbeitgeber die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung noch nicht gemacht hat, kann die Online-Handlungshilfe den Mitarbeitervertretungen eine nützliche Hilfe sein.

Das Herzstück der Online-Handlungshilfe ist ein Prozesskreis der beteiligungsorientierten Gefährdungsbeurteilung. Er setzt sich aus 23 Handlungsschritten zusammen, von der Strategieentwicklung über die Grob- und Fein-Analyse bis hin zur Wirksamkeitsprüfung und dem Erfahrungsaustausch mit allen Beteiligten. Die jeweiligen Handlungsschritte können online einzeln angeklickt werden, um Details zu erfahren und planen zu können.

Weitere Regelungen und Schutzvorschriften
Die Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes gelten stets. Darüber hinaus gibt es weitere Regelungen und Schutzvorschriften für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten, wie beispielsweise im Arbeitszeitgesetz festgeschrieben. Einen umfassenden Überblick über Arbeitsschutzverordnungen, Unfallverhütungsvorschriften und Regeln zum technischen Arbeitsschutz und die große Bandbreite der „Arbeitsmedizinischen Regeln“ gibt ver.di hier: ver.di Gefährdungsbeurteilung