Am Morgen des 30. November versammelten sich erneut zahlreiche KiTa-Mitarbeitende vor dem Kanzleramt, um bei Minus fünf Grad mit einer Mahnwache auf die katastrophalen Bedingungen für KiTa-Beschäftigte aufmerksam zu machen. Trotz des eisigen Wetters standen die KiTa-Mitarbeitenden aus Berlin und Brandenburg mit Plakaten und Transparenten, umgeben von blau leuchtendem Schnee, entschlossen und solidarisch zusammen.
Die wöchentlichen Mahnwachen, die seit dem 19. Oktober 2023 vor verschiedenen politischen Institutionen in ganz Deutschland stattfinden, sind Teil der fortlaufenden Bemühungen, auf die dringenden Bedürfnisse und Forderungen der KiTa-Beschäftigten aufmerksam zu machen.
„Von Jahr zu Jahr nimmt der Fachkräftemangel zu, ohne dass sich die Politik rührt und endlich gemeinsam und systematisch vorgeht", mahnte Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende, und unterstrich die eskalierende Problematik des Fachkräftemangels, der zunehmend unadressiert bleibe. Sie forderte dringend einen bundesweiten KiTa-Gipfel, bei dem das Kanzleramt die Verantwortung übernimmt und gemeinsam mit den Bundesministerien, den Ländern und den Kommunen Maßnahmen zur Stabilisierung und zum Ausbau des Systems entwickelt.
„Der Bund muss sich dauerhaft finanziell am Betrieb der KiTas und der Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte beteiligen. Ein Gute-KiTa-Gesetz nach dem anderen hilft da nicht weiter. Die Kommunen brauchen eine verlässliche Unterstützung.”
Bericht aus der Praxis
Anette Krapp ist Erzieherin und arbeitet seit 40 Jahren in Kindertagesstätten. Die 58-Jährige liebt ihren Job, opfert aber Freizeit und Wochenenden zur Regeneration. Unserer Mitgliederzeitung ver.di publik erzählte sie Anfang des Jahres, dass weder für notwendige Teambesprechungen genügend Zeit bliebe noch für Kolleginnengespräche. Alle seien insgesamt viel gereizter. Vor allem fehle die Zeit für Pädagogik: „Frustrierend ist, wenn du wegen der personellen Engpässe deinen eigenen pädagogischen Maßstäben nicht mehr gerecht werden kannst.“
Richtig stressig wird es für die erfahrene Erzieherin, wenn sie mit zwölf Krippenkindern allein ist, eines hinfällt und weint, zwei sich streiten und zwei volle Windeln haben. Dann sei der permanente Lärm noch schwieriger zu ertragen. Und dann käme es auch vor, dass Kolleginnen stressbedingt weinen, die seien dann richtig fertig.
Anette Krapp ist keine, die sich beklagt. „Eigentlich ist der Job ganz toll, ich arbeite sehr gerne mit Kindern“, sagt sie. Wenn bloß die Bedingungen nicht gefühlt immer schlechter, das Personal immer weniger werden würde. „Wenn du 20 Kinder gewickelt hast, hast du Rücken am Abend.“
Um auf die sich stetig verschlechternden Bedingungen der Kita-Beschäftigten erneut und nachdrücklich aufmerksam zu machen, ruft ver.di ab jetzt jeweils donnerstags zu wöchentlichen Mahnwachen für die Kindertagesstätten (Kitas) in Deutschland auf. Unter dem Motto „Es donnert in den Kitas – Kinder und Beschäftigte gefährdet!“ führen Kita-Beschäftigte bis Weihnachten in vielen Bundesländern vor den Staatskanzleien, Senaten, Ministerien und den Bundesministerien oder auch dem Bundeskanzleramt regelmäßig Mahnwachen durch.
„Die Personaldecke in den Kitas ist inzwischen so dünn, dass weder für Eltern noch für die Kinder ein verlässliches Angebot stattfinden kann. Die Kolleginnen und Kollegen sind froh, wenn Kinder und Beschäftigte den Tag heil überleben. Das kann so nicht weitergehen und das werden die Kita-Beschäftigten jetzt mit ihren Mahnwachen deutlich machen.“
Seit einigen Jahren erleben die Beschäftigten der Kitas einen ständig wachsenden Fachkräftemangel. Auch die offiziellen Berechnungen zeigen, dass die Fachkräftelücke stetig steigt. Die Agentur für Arbeit spricht inzwischen von einem Engpassberuf. Und bei diesen Zahlen sind die Bedarfe für einen Ausbau des Systems oder die Anhebung der Qualität noch nicht einmal eingerechnet.
Der Personalmangel trifft auf Kitas, die ohnehin schon mit Personalschlüsseln ausgestattet sind, die nicht kindgerecht sind. Laut Auskunft der Beschäftigten in einem von ver.di organisierten Kita-Personalcheck, fehlten im Sommer 2021 im Durchschnitt drei Fachkräfte, um in den Kitas angemessen arbeiten zu können, insgesamt waren es mindestens 172.782 Fachkräfte – das beim aktuellen Ausbaustand der Kindertageseinrichtungen. Gleichzeitig besteht ein enormer Kita-Platzbedarf. In den westdeutschen Bundesländern fehlen 362.400 und in Ostdeutschland 21.200 Kita-Plätze, um die Wünsche der Eltern zu erfüllen. Das haben Berechnungen Bertelsmann-Stiftung ergeben.
Kommunen und Länder reagieren auf diese Nachfrage bisher mit dem Ausbau der Kindertageseinrichtungen und der Schaffung neuer Plätze. Wenn neue Einrichtungen eröffnen, wird das Personal aus den umliegenden Kitas in der Region abgezogen. Doch so wird die Personaldecke in allen Kitas immer dünner und der Personalmangel wächst stetig. Die Folgen: Kita-Beschäftigte erkranken häufiger, fallen aufgrund von Burnout lange Zeiten aus oder sie verlassen ihren Beruf gleich ganz.
Laut einer Studie der Krankenkasse DAK sind 97 Prozent der Beschäftigten in den Kitas vom Personalmangel betroffen. Der Krankenkasse gegenüber geben die Beschäftigten an, dass es allgemein zu wenig Mitarbeiter*innen und ungewöhnlich viele Personalausfälle gebe. Das heißt: Dort wo Personalmangel erlebt wird, sind die Personalausfälle besonders hoch. Und das heißt auch, die Personalausfälle durch Erkrankungen steigen. Laut DAK ist keine andere Berufsgruppe häufiger wegen Erkrankungen des Atmungssystems oder aufgrund psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig. Für die Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen bedeutet dies, dass sie ihrem Arbeitsauftrag, der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern nicht mehr nachkommen können.
„Wenn das Kita-System nicht total vor die Wand fahren soll, muss dieser Teufelskreis sofort durchbrochen werden. Wir müssen uns auf die Stabilisierung des derzeitigen Kita-Systems konzentrieren. Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie die Fachkräftelücke von Tag zu Tag wächst.“
Schon jetzt sei keine Verlässlichkeit für die Eltern mehr gegeben. Notgruppen, Reduzierung der Öffnungszeiten oder auch Schließungen von Gruppen seien an der Tagesordnung. Es müsse seitens der Politik endlich die Verantwortung übernommen werden. „Wir erwarten, dass von höchster politischer Ebene ein Kita-Gipfel veranstaltet wird, auf dem zwischen Bund, Ländern und Kommunen die Stabilisierung des Kita-Systems, ein Stufenplan für den quantitativen und qualitativen Ausbau und der damit verbundene notwendige Aufbau des Fachpersonals aufeinander abgestimmt und Finanzen entsprechend bereitgestellt werden“, fordert Behle. Auch die Eltern dürften in dieser schwierigen Situation nicht allein gelassen werden. Sie benötigten dringend Unterstützung, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wieder verlässlich möglich wird.
Mehr erfahren zu den Arbeitsbedingungen und Mahnwachen in den Kitas unter kita.verdi.de