Für bessere Plattformarbeit

Einigung bei der Plattformrichtlinie – der Rat der EU-Beschäftigungs- und Sozialminister*innen hat nach monatelangen Verhandlungen den Kompromiss mit dem Europäischen Parlament zur Plattformrichtlinie bestätigt. Damit wird die Arbeit auch für sehr viele Solo-Selbstständige besser
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Designer*innen sind oft solo-selbstständig und beziehen ihre Aufträge über große Plattformen
20.03.2024

Bereits Ende November 2022 wurde im Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments über die „Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“ abgestimmt. Seinerzeit ging sie nicht durch und hat seither mehrere Verhandlungsrunden gedreht. Doch nun endlich hat der Rat der EU-Beschäftigungs- und Sozialminister*innen nach monatelangen Verhandlungen den Kompromiss mit dem Europäischen Parlament zur Plattformrichtlinie bestätigt.

„Die Plattformrichtlinie bringt echte Verbesserungen und stärkt auch Solo-Selbstständige“, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke nach Bekanntwerden der Einigung. Von einem etwa von der FDP beschworenen Ende der Selbstständigkeit könne keine Rede sein, im Gegenteil: „Wenn jemand tatsächlich selbstständig ist, wird er in seinen Rechten und Freiheiten sogar noch gestärkt. Dies ist für uns als europaweit größte Organisation von Solo-Selbstständigen zentral“, so Werneke. Diesmal habe es die FDP nicht geschafft, ein wichtiges europäisches Gesetzgebungsvorhaben zu blockieren. Die deutsche Bundesregierung musste sich zwar aufgrund der Ablehnung der FDP enthalten. Da Griechenland und Estland in letzter Minute ihr Abstimmungsverhalten aber geändert haben, kamen ausreichend Stimmen zusammen.

Was heißt das und wen betrifft die Plattformrichtlinie?

Nehmen wir Kai. Kai arbeitet selbstständig als Korrektor. Über eine Plattform erhält er von verschiedenen Verlagen Texte für Zeitschriften oder ganze Bücher, um sie Korrektur zu lesen, also Fehler zu finden in Rechtschreibung und Grammatik. Lange lief das super. Der Algorithmus der Seite rankte ihn als zuverlässig, schnell und präzise arbeitenden Korrektor. Seine Auftraggeber haben Kai durch ihre vielen Aufträge quasi fünf Sterne wie bei einer Kundenbewertung im Internet vergeben. Doch dann wurde Kai krank und er konnte eine Weile lang nicht mehr so viele Aufträge annehmen. Tatsächlich wurden es immer weniger. Und eines Tages war sein Account auf der Plattform einfach gesperrt. Kais Performance – wie es in der Tech-Sprache heißt – hatte in der Auswahl des Algorithmus keinen Platz mehr. Die Folge: Kai bekam gar keine Aufträge mehr. Für Solo-Selbstständige wie ihn kommt das einer Katastrophe gleich.

 
Solo-selbstständige Click-Worker können überall ihren Arbeitsplatz einrichten, auch nebeneinander, nur kollektive Tarifverhandlungen können sie noch nicht führen

Die nun verabschiedete Plattformrichtlinie hilft Plattformarbeit wirksam zu regulieren. Denn sie hat das Ziel, Scheinselbstständigkeit einzuschränken, die in der Plattformwirtschaft ein großes Problem darstellt. Darunter sind beispielsweise zuletzt die Fahrradkuriere von Lieferdiensten und vermeintlich solo-selbstständige Uber-Fahrer gefallen. Viele von ihnen sind inzwischen angestellt. Das zentrale Instrument, um gegen Scheinselbstständigkeit vorzugehen, ist die sogenannte Beweislastumkehr: Bestehen Zweifel an der Selbstständigkeit muss die Plattform beweisen, dass es sich nicht um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handelt. ver.di begrüßt diese Umkehr der Beweislast ausdrücklich.

Die Richtlinie wird nach Auffassung von ver.di auch für mehr Transparenz sorgen und neue Rechte bezüglich des algorithmischen Managements einführen. Zeiten, in denen ein Account einfach gesperrt werden konnte, ohne dass man dies hinterfragen kann, wären somit vorbei. Und nicht zuletzt würden auch die Rechte der Gewerkschaften gestärkt, wirksam die Interessen der über Plattformen arbeitenden Menschen durchsetzen zu können.

Immer mehr Plattformbeschäftigte

Die Zahl der sogenannten Plattformbeschäftigten wächst rasend schnell. Laut Europäischer Kommission wird sich die Zahl der Menschen, die Aufträge auf Apps annehmen, von rund 28 aktuell auf 43 Millionen Menschen bis 2025 erhöhen. Fast alle dieser Arbeiter*innen, geschätzte 90 Prozent laut EU-Kommission, arbeiten formal als Selbstständige.

Und das hat einen Grund: Viele Plattformen wie Uber, Pflegix, People Per Hour oder Amazon Turk sehen sich nur als Vermittlungsplattform, nicht als Arbeitgeber. Um die Zahlung von Sozialabgaben, Mindestlöhnen und Co. kommen sie so herum, sie finanzieren sich über Provisionen. Ein gutes Geschäft ist das allerdings oft nur für die Plattformen. Sie konnten ihre Umsätze allein in der EU um 500 Prozent in den vergangenen fünf Jahren steigern – zuletzt auf 20 Milliarden Euro im Jahr 2020.

ver.di begrüßt die Plattformrichtlinie daher auch im Sinne ihrer rund 30.000 solo-selbstständigen Mitglieder. Denn die Richtlinie verbessert auch die Rechte der professionell arbeitenden Selbstständigen wie Designer*innen, Übersetzer*innen, Korrektor*innen, Grafiker*innen und anderen gegenüber den Plattformen.

Was die Plattformrichtlinie verbessert

  • Die Richtlinie stellt explizit klar, dass die Plattformen keine Kontrolle oder Weisung bezüglich der Höhe des Entgelts, der Arbeitsbedingungen oder des Erscheinungsbildes ausüben dürften. Selbstständige können dadurch frei entscheiden, wann sie arbeiten, wie sie arbeiten und ob sie überhaupt einen Auftrag annehmen wollen. Ratingsysteme, die diese Möglichkeiten einschränken, gehören für Selbstständige damit der Vergangenheit an – Kai könnte also nicht einfach gesperrt werden. Auch dürfen die Plattformen die Möglichkeiten einen eigenen Kundenkreis aufzubauen nicht einschränken – ein weiteres Kernelement der selbstständigen Tätigkeit ist so geschützt.
  • Ein Kernpunkt der Richtlinie ist die Beweislastumkehr. Statt wie bisher es den Beschäftigten selbst zuzumuten, vor Gericht nachzuweisen, dass sie eigentlich Angestellte und keine Selbstständigen sind – läuft es nun genau andersherum. Die Plattformen müssen beweisen, dass sie mit Selbstständigen arbeiten. Die vorgesehene Beweislastumkehr ist somit ein zentrales Instrument, um das tatsächliche Verhältnis der Beauftragung zu bestimmen. Diejenigen, die professionell als Selbstständige arbeiten und dies auch weiterhin tun wollen, werden durch die Richtlinie nicht in die abhängige Beschäftigung gezwungen.
  • Auch die im Richtlinien-Entwurf vorgeschlagenen Transparenz-, Überwachungs- und Überprüfungspflichten im Rahmen des algorithmischen Managements sind ein deutlicher Zugewinn für selbstständig erwerbstätige Personen. Willkürlich getroffene Entscheidungen wie kurzfristige Sperrungen oder gar der vollständige Ausschluss, deren Gründe bisher nicht erfragt werden konnten und für deren Überprüfung keine Mitarbeiter*innen der Plattform zur Verfügung stehen, darf es künftig nicht mehr geben.
  • Schließlich ermöglichen die vorgesehenen Zugangsrechte für Gewerkschaften eine bessere Kommunikation der oftmals vereinzelt arbeitenden Selbstständigen untereinander und mit ihrer Interessenvertretung, was ihnen den Zugang zu Informationen und Unterstützung sichert, wenn sie dies möchten. 

Geschäftsmodell prekäre Arbeit

Es hat den Plattform-Unternehmen nichts genutzt, gegen die Plattformrichtlinie Sturm zu laufen. So hatte beispielsweise der Interessenverband der Fahrdienstleister „Move EU“  etwa vor dem Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen gewarnt, dass einzelne solo-selbstständige Fahrer*innen weniger verdienen, sich ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern würden, weil Flexibilität verloren ginge.

Für Dennis Radtke, CDU-Abgeordneter in Brüssel und Mitglied im Beschäftigungsausschuss, waren das alles vorgeschobene Argumente der Unternehmen. Viel schlechter als bisher hätten die Arbeitsbedingungen vieler Plattformbeschäftigten nicht werden können. Das Geschäftsmodell einiger Plattformbetreiber habe bisher in weiten Teilen einzig darauf beruht, Kosten durch prekäre Arbeitsbedingungen zu sparen.