Über häufige Störungen bei der Arbeit klagen 52 Prozent der Beschäftigten im gesamten Dienstleistungssektor. Die Folgen sind gewaltiger Stress, Arbeitshetze sowie zunehmende psychische Belastungen und ein Rückgang qualitätsvoller Arbeit. Wo die Arbeitsbedingungen insgesamt schlecht sind, werden die Beschäftigten fast doppelt so oft gestört wie bei insgesamt guten Arbeitsbedingungen. Das geht aus einer Studie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) auf Basis von repräsentativen Umfragen zum „DGB-Index Gute Arbeit“ hervor. „Die Belastungsspirale im Dienstleistungssektor ist ein wesentlicher Grund für die steigende Zahl von Stresskranken“, erklärte der stellv. ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Eine besondere Rolle spielt dabei die wachsende Arbeitsverdichtung. Wo es zu einer hohen Arbeitsintensivierung gekommen ist, fühlten sich 69 Prozent der Befragten sehr häufig im Arbeitsablauf gestört. Bei gleichbleibenden beruflichen Anforderungen waren es nur 47 Prozent.
Die Störungsquellen sind vielfältig. Sie reichen von einer Überhäufung der Beschäftigten durch Zusatzaufgaben, ständigen technischen Problemen, falschen Zusammensetzungen in Großraumbüros bis hin zu Vorgesetzten, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. „Wenn ich einen Notfall habe, drei Neuzugänge bekomme, fünfmal das Telefon klingelt und gleichzeitig drei Angehörige kommen, muss ich mir überlegen, was ich als Erstes mache“, sagt zum Beispiel eine Krankenpflegerin. Die Angestellte eines Reisebüros klagt, dass sie bei ihrem Buchungssystem ständig drei Fenster des Systems geöffnet haben muss, weil immer eins abstürzt: „Das ist extrem frustrierend und total peinlich vor dem Kunden.“ Ein IT-Entwickler berichtet, dass Entwickler und Projektleiter in einem Großraumbüro gemeinsam arbeiten müssen: “Man bekommt natürlich einiges mit, aber generell lenkt das eben sehr ab, wenn nebenan ständig das Telefon klingelt.“ Wenn in einem Bekleidungsgeschäft die Abteilungsleiterin alle zwei Minuten die Aufgabenstellung der Verkäuferinnen ändert, ist sie eher ein Störfaktor als eine Hilfe. „Jeder springt, und unterm Strich kommt gar nichts dabei rum, weil man alles anfängt und nichts zu Ende bringt“, berichtet eine Verkäuferin. Die Folgen sind Frustration, Chaos und hohe psychische Belastung.
43 Prozent derjenigen, die bei ihrer Arbeit sehr häufig oder oft unterbrochen werden, empfinden dies als „starke“ oder „eher starke“ Belastung. Besonders häufig betroffen von Störungen im Arbeitsablauf sind Beschäftigte in den Bereich Informationstechnologie (79 Prozent), Telekommunikation (76 Prozent), Finanzdienstleistungen (72 Prozent), Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung (61 Prozent) Gesundheitswesen (59 Prozent) und Einzelhandel (49 Prozent). Je häufiger Störungen und Unterbrechungen vorkommen, desto öfter berichten Betroffene vom Fehlen arbeitswichtiger Informationen. Auf die Frage „Inwieweit plant Ihr Vorgesetzter die Arbeit gut?“ gaben 39 Prozent eine negative Antwort („gar nicht“ sagen 13 Prozent, „in geringem Maß“ 26 Prozent). 61 Prozent zeigten sich mit der Arbeitsvorbereitung sehr zufrieden.
Auffällig in der Repräsentativbefragung ist die Störungshäufigkeit bei der digitalisierten Arbeit. In diesem Bereich klagen 62 Prozent der Befragten darüber, ihrer Arbeit nicht ungestört nachgehen zu können. Wer nur in geringem Maße oder gar nicht mit digitalen Mitteln arbeitet, wird nur in 38 Prozent der Fälle gestört. Die Zahlen besagen allerdings nicht, ob die Störungen durch die Technik bewirkt werden oder mit den dortigen Arbeitsbedingungen zusammenhängen. Weit über dem Durchschnitt liegen die Werte der Störungshäufigkeit bei Beschäftigten, die digitalisierungsbedingt mehrere Arbeitsvorgänge gleichzeitig bewältigen müssen (72 Prozent), die digitalisiert von zu Hause und unterwegs arbeiten (70 Prozent) und bei digital arbeitenden Menschen, die für ihren Arbeitgeber ständig erreichbar sein müssen (68 Prozent).
Der stellv. ver.di-Vorsitzende Frank Werneke nennt eine ganze Liste von Maßnahmen, mit denen die Probleme behoben werden können: „Kluge Unternehmen beteiligen die Beschäftigten an der Arbeitsgestaltung. Die kennen die Probleme doch am besten.“ Verlässliche Pausenregelungen sind seiner Meinung nach genauso notwendig wie die Möglichkeit für alle Beschäftigten, selbstbestimmte Auszeiten zu nehmen. „Ununterbrochenes Arbeiten ist nämlich genauso schädlich wie gestörtes Arbeiten“, so Werneke. „Räumliche Ausstattungen könnten Stressabbau begünstigen. Ein angemessenes Arbeitstempo und Zeitpuffer im Arbeitsablauf erlauben es, auf Unvorhergesehenes ohne Hektik zu reagieren. Unterm Strich bedeutet dies eine enorme Qualitätsverbesserung der Arbeit und dadurch auch der Arbeitsergebnisse.“
Die Arbeitsberichterstattung zu der Umfrage ist hier zu finden:
Günter Isemeyer
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